Mit der Fotografie begann eine ganz neue Phase der astronomischen Forschung. In den ersten hundert Jahren kamen dabei überwiegend Fotoplatten aus Glas zum Einsatz, von denen nicht nur Abzüge erstellt, sondern die auch direkt ausgewertet wurden. Entsprechende Notizen und Markierungen sollen nun im Rahmen eines Forschungsprojektes erfasst werden.
Seit Menschengedenken beschäftigt sich die Erdbevölkerung mit Astronomie. Wurden die Himmelskörper zunächst mit bloßem Auge beobachtet, kamen später Fernrohre, Teleskope und Observatorien hinzu. Ein Meilenstein war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit der Etablierung der Fotografie erreicht. Welchen Stellenwert fotografische Materialen und Praktiken in der Astronomie ab 1850 spielen, soll nun ein neues Forschungsprojekt von Dr. Omar Nasim, Professor für Wissenschaftsgeschichte an der Universität Regensburg, untersuchen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft unterstützt das Projekt mit dem Titel "Astronomie-Glasarchiv: Fotografische Praktiken in der Sternwarte, 1850-1950" mit einer halben Million Euro.
Rund 180 Jahre liegen zwischen der Frühzeit der Fotografie und unseren heutigen Foto-Apps im Smartphone. Um 1850 war das Fotografieren noch ein aufwendiges Handwerk, bei dem mithilfe von Ehrfurcht gebietenden Apparaten, mit zerbrechlichen Fotoplatten aus Glas und mit langen Belichtungszeiten gearbeitet wurde. Für die Astronomie stellte die Einführung der Fotografie eine Zeitenwende dar: Visuelle Beobachtungen konnten nun durch fotografische Aufnahmen erstmals dokumentiert und damit für andere besser nachvollziehbar gemacht werden. Belichtungszeiten von mehreren Stunden ermöglichten die Erforschung von lichtschwachen Objekten, etwa dem mit bloßem Auge kaum sichtbaren Nordamerikanebel.
Die Plattenfotografie dominierte zwischen 1850 und 1950 jeden Aspekt der Astronomie und lieferte unzählige Bilder von Sonne, Mond, Sternen und Sternspektren. Bei dieser Art der Fotografie wurden Glasplatten, die mit einer fotochemischen Emulsion beschichtet waren, in Plattenkameras gespannt und belichtet. Anschließend wurden die Fotoplatten zu Glasnegativen entwickelt, von denen beliebig viele positive Abzüge gemacht werden konnten. Die Fotoplatten hatten für die Astronomen den Vorteil, dass sie flach, ebenmäßig und formstabil waren – und immer noch sind – und im Vergleich zu Fotofilmen widerstandsfähiger gegen Umwelteinflüsse.
Der Fokus von Nasim und seinem Forschungsteam liegt nicht auf den Positiven, also den gedruckten astronomischen Aufnahmen, denn diese erzählen nur einen Teil der Geschichte der astronomischen Wissensproduktion. Das Forschungsprojekt nimmt vielmehr die Glasplatten in den Blick, also das belichtete und fixierte Negativ. Bereits in diesem Stadium wurden die Glasplatten-Fotografien intensiv als Informationsträger genutzt, wovon bis heute die deutlichen Gebrauchsspuren und Notizen derjenigen Menschen zeugen, die an und mit ihnen geforscht haben: Astronomen haben ihre Überlegungen und Schlussfolgerungen nicht nur in Beobachtungsbüchern notiert, sondern ihre Erkenntnisse in Form von zeichnerischen Ergänzungen, Markierungen und Etikettierungen direkt auf die Glasplatten selbst aufgebracht.
Die Materialität der Fotografie steht also im Mittelpunkt des Forschungsvorhabens, das heißt die Glasplatten als Träger einer einzigartigen Form von Materialgeschichte, die sich aus den Papierdokumenten allein nicht rekonstruieren lässt. Die Forschungsgruppe um Nasim wird Archivmaterial des Royal Greenwich Observatory und der Observatorien in Harvard, Leiden, Heidelberg und Hamburg auswerten und mit Quellen aus den Archiven von Kodak, Ilford und Zeiss in Beziehung setzen.
Als DFG Mercator-Fellow ist Prof. Dr. Kelley Wilder mit dem Projekt assoziiert, die ihre Expertise als Direktorin des Photographic History Research Centre an der De Montfort University in Leicester, Großbritannien, einbringen wird. Diese Materialsammlung umfasst die Herstellung und Bearbeitung der Platten vor der Belichtung sowie die fotografischen Daten und Notizen, die nach der Belichtung auf den Platten oder in begleitenden Notizbüchern gemacht wurden. Die Erforschung der Materialität der Glasplatten wird umso dringlicher, als im Zuge der Digitalisierung dieser Fotografien die von Hand vorgenommenen Ergänzungen drohen, verloren zu gehen.
Astronomiegeschichte: Was alte Glasplatten verraten - AstroNews
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