Monatelang geht es dem 21-Jährigen nicht gut. Sein Herz rast immer wieder, er ist zittrig, kann sich kaum auf sein Studium konzentrieren. Manchmal hat er schwere Migräneanfälle. Er wird zunehmend kurzatmig, verliert Gewicht und fühlt sich grundsätzlich schlecht. Nach vier Monaten sucht er schließlich ein Londoner Krankenhaus auf.
Dort stellt man sofort fest, dass er ein akutes Nierenversagen hat. Der Urin staut sich in beiden Nieren – ein Zustand, der die Organe dauerhaft schädigen kann. Das Ärzteteam legt deshalb künstliche Ausgänge, durch die die Flüssigkeit abfließen kann, wie es im Fachblatt »BMJ Case Reports« berichtet.
Doch der Mann hat nicht nur ein Problem mit den Nieren. Bei der Untersuchung seines Herzens offenbart sich, dass bei dem 21-Jährigen eine Herzschwäche, auch Herzinsuffizienz genannt, vorliegt. In seinen Beinen und in seiner Bauchhöhle finden sie Ödeme, also Wassereinlagerungen. Beide Herzkammern sind geweitet, die linke pumpt zu wenig Blut in den Körper. Außerdem sind einige Blutgerinnsel im Herzen, weshalb das Ärzteteam dem Patienten Heparin gibt, einen Gerinnungshemmer.
Der Zustand des Mannes wird noch kritischer, weil er infolge des Nierenversagens und der darauffolgenden Entgleisung verschiedener Blutwerte eine sogenannte urämische Enzephalopathie entwickelt: Sein Gehirn wird also in Mitleidenschaft gezogen, was etwa zu Unruhe, Konzentrationsschwäche oder Apathie führen, aber zum Beispiel auch in ein Koma münden kann.
Mithilfe einer Dialyse wollen die Ärztinnen und Ärzte seine Werte möglichst schnell wieder in den Normalzustand bringen. Zwar stabilisiert sich der Patient in den folgenden Tagen, doch weder das Nierenversagen noch die Herzinsuffizienz bessern sich. Er benötigt weiterhin regelmäßige Dialyse. Zeitweise prüfen die Ärzte, ob der Mann auf die Liste für Herz- und Nierentransplantation gesetzt werden muss.
Dass er zusätzlich eine sehr seltene Komplikation entwickelt, die nach der Gabe von Heparin auftritt, vereinfacht die Situation nicht.
Fast zwei Monate lang im Krankenhaus
Mit der Zeit verbessert sich sein Zustand aber etwas. Nach 58 Tagen kann er aus dem Krankenhaus entlassen werden.
Der Patient schildert die Zeit auf der Intensivstation rückblickend als traumatisch. »Ich hatte solche Gedächtnisprobleme, dass ich mich nicht erinnern konnte, warum ich auf der Intensivstation bin. Ich hatte ständig Angst, weil ich solche Schwierigkeiten hatte, zu sprechen oder mich zu bewegen. Davon bekam ich Schlafstörungen und lag die Nächte lang wach. Und ich war oft frustriert, weil mir Wörter nicht einfielen, wenn ich etwas sagen wollte.«
Was hat den 21-Jährigen so krank werden lassen? Zunächst fragt sich das Ärzteteam, ob er eine Stress-Kardiomyopathie, auch Takotsubo-Syndrom genannt, erlitten hat. Das Syndrom ähnelt einem Herzinfarkt und tritt meist nach einschneidendem Stress auf. Solch ein Ereignis gab es aber nicht im Leben des jungen Mannes – und für gewöhnlich erholt sich das Herz nach einem Takotsubo-Syndrom relativ schnell.
Hatte er eine von Krankheitserregern ausgelöste Herzmuskelentzündung, die das Organ schwächte? Auch hier passt der Krankheitsverlauf nicht.
Der Mann hatte bei der Aufnahme berichtet, dass er seit drei Jahren nicht mehr geraucht hatte. Er konsumiert weder Alkohol noch illegale Drogen. In seiner Familie gibt es keine Fälle von Herzkrankheiten, die Aufschluss über sein Problem geben könnten. Aber ein ungewöhnliches Detail hat der 21-Jährige berichtet: Er trinkt seit zwei Jahren täglich im Schnitt vier Halbliterdosen Energydrinks, also insgesamt zwei Liter pro Tag. Pro Dose seien das 160 Milligramm Koffein, insgesamt also 640 Milligramm. Dazu kommen Taurin und weitere Inhaltsstoffe.
Laut der europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) sind bis zu 400 Milligramm Koffein pro Tag unbedenklich. Diese Dosis hatte der Patient dauerhaft überschritten.
Weil die anderen möglichen Erklärungen für seine Beschwerden nicht recht passen, sieht das Ärzteteam die Energydrinks als wahrscheinlichste Ursache an. Es gibt bereits einige Fallberichte, in denen ein übermäßiger Konsum der Getränke mit Herzproblemen in Verbindung gebracht wird.
Neun Monate nach der Entlassung arbeitet das Herz des Mannes wieder deutlich besser, aber auch nicht mehr wie das eines Gesunden. Das Ärzteteam geht davon aus, dass er irgendwann eine Spenderniere brauchen wird. Der Patient meint, über die Risiken von Energydrinks solle besser aufgeklärt werden.
Ein rätselhafter Patient: Herzschmerz aus der Dose - DER SPIEGEL
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