Durchbruch bei Behandlung lebensbedrohlicher Virusinfektion
Infektionen mit dem JC-Virus (John-Cunningham-Virus) können bei Menschen zu lebensbrohlichen Erkrankungen des zentralen Nervensystems führen. Jetzt ist es erstmals gelungen eine effektive Therapie gegen diese selten auftretende, aber häufig tödlich verlaufende Virusinfektion zu entwickeln.
Transplantierte T-Lymphozyten verbessern die Symptome des John-Cunningham-Virus innerhalb von Wochen signifikant, so das bahnbrechende Ergebnis einer aktuellen Untersuchung von Forschenden der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Die Ergebnisse der Studie wurden in der englischsprachigen Fachzeitschrift „Neuroimmunology & Neuroinflammation“ publiziert.
Infektion mit Virus verläuft meist unbemerkt
Laut Aussage der Fachleute der Medizinischen Hochschule Hannover infizieren sich etwa 70 bis 90 Prozent aller Menschen weltweit im Laufe ihres Lebens mit dem JC-Virus, doch die meisten der betroffenen Personen bekommen dies überhaupt nicht mit.
Virus aktiviert sich bei Schwächung des Immunsystems
Ist das Virus aber erst einmal im Körper, bleibt das Erbgut des Erregers dort vorhanden. Wenn das Immunsystem dann beispielsweise durch schwere Erkrankungen geschwächt oder durch (immunsuppressive) Medikamente gehemmt wird, reaktiviert sich das Virus und beginnt sich zu vermehren, so das Team. So habe es die Möglichkeit, mit der Hilfe des Bluts in das Zentralnervensystem zu gelangen. Wenn dies geschieht, kann eine sogenannte progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML) auftreten, welche oft innerhalb von nur wenigen Wochen zum Tod der betroffenen Person führt.
Wodurch zerstört das Virus das Hirngewebe?
Das Hirngewebe wird durch die PML fotschreitend zerstört. Die Fachleute der MHH haben jetzt jedoch eine Möglichkeit gefunden, um die Ausbreitung des Virus aufzuhalten. Dafür wurden zwei Menschen mit PML mit speziellen Abwehrzellen behandelt. Diese waren in der Lage das JC-Virus im Körper zurückzudrängen.
Schwierigkeiten bei Absetzung von Immuntherapie
Bisher bestand lediglich für Personen mit PML, welche wegen einer Erkrankung oder nach einer Transplantation immunsuppressive Medikamente einnehmen mussten, ein therapeutischer Ansatz: Mit Absetzung der Arzneimittel bestand die Möglichkeit, dass die PML sich nicht weiterentwickelt und möglicherweise ausheilt. Es sei aber häufig keine Option die Immuntherapie abzusetzen, da dies beispielsweise nach einer Transplantation zum Verlust des Spenderorgans führen kann, berichten die Forschenden.
Welche Rolle spielen T-Lymphozyten?
„Jetzt haben wir zum ersten Mal einen Ansatz, ohne größere Nebenwirkungen das Virus direkt zu bekämpfen“, erläutert Professor Dr. Thomas Skripuletz von derMHH. Das Blut von gesunden Menschen, welche zwar das JC-Virus in sich tragen, aber nicht krank werden, enthält passgenaue Abwehrzellen (T-Lymphozyten) aus der Gruppe der weißen Blutkörperchen.
Solche Zellen sehen den Angreifer als körperfremd an, daher leiten sie eine Immunantwort ein. Wenn diese T-Lymphozyten durch eine Transplantation in den Körper von an PML erkrankten Menschen übetragen werden, sind sie dort in der Lage das JC-Virus zu bekämpfen, wodurch sich der Zustand der erkrankten Person wieder verbessert, so die Fachleute.
Team nutze einziges T-Zellspenderregister
„Das funktioniert allerdings nur dann ohne Probleme, wenn die Zellen der Spender die gleichen Gewebemerkmale haben wie die Empfänger, also HLA-kompatibel sind“, erläutert Professorin Dr. Britta Eiz-Vesper vom MHH-Institut für Transfusionsmedizin und Transplantat Engineering. Da das Institut nicht nur in Deutschland zu den führenden Herstellungsstätten für Virus-spezifische T-Zellen zählt, sondern auch das einzige T-Zellspenderregister führt, konnte das Team schnell Menschen identifizieren, welche geeignet für eine T-Zell-Spende waren.
Wirksame und verträgliche Zellen identifizieren?
„Wir registrieren bei unseren Blutspendern nicht nur die HLA-Merkmale der Blutzellen, sondern bestimmen gleichzeitig die Anzahl spezifischer T-Zellen gegen unterschiedliche Virustypen“, erläutert die Medizinerin weiter. Dadurch ist es möglich, dass wirksame und gleichzeitig verträgliche T-Zellen von Menschen für eine Zellgabe verwendet werden, die nicht mit den sie empfangenen Personen verwandt waren, so das Team.
Das gespendete Blut wird so stimuliert, das es möglich ist, die begehrten T-Zellen herauszufiltern. Diese können direkt verabreicht werden, es ist aber auch möglich die Zellen für eine spätere Verwendung einzufrieren, berichten die Fachleute.
„In diesem Fall haben wir nach T-Zellen gegen das eng mit dem JC-Virus verwandte BK-Virus gesucht, weil dieses den Anforderungen an die Arzneimittelherstellung entspricht und diese Leukozyten beide Virusarten gleichermaßen erkennen und ausschalten können“, erklärt Professorin Dr. Eiz-Vesper weiter.
Erfolgreiche Behandlung bei zwei Teilnehmenden
„Wir haben für unsere Publikation die erfolgreiche Behandlung einer beidseitig lungentransplantierten und einer weiteren Patientin mit schwerer entzündlicher Erkrankung des Immunsystems mit den BK-Virus-spezifischen T-Zellen beschrieben“, erläutert Dr. Franziska Hopfner von der MHH.
Gehirn erholte sich außergewöhnlich schnell
Eine dreimalige Verabreichung von anti-JC-aktiven Spender-T-Lymphozyten führte in beiden Fällen zu einer merklichen Verbesserung des vorliegenden Gesundheitszustandes. „Das Gehirn erholte sich erstaunlich schnell, und die Viruslast im Nervenwasser nahm deutlich ab“, berichtet Dr. Hopfner.
Ein Jahr nach der Behandlung konnten von den Forschenden zwar noch Narben in den betroffenen Hirnregionen identifiziert werden, aber der Gesundheitszustand der betroffenen Personen war den Fachleuten zufolge weitgehend stabil. Mittlerweile wurden sogar drei weitere Menschen mit PML erfolgreich behandelt, so das Team.
Immunsuppressive Behandlungen begünstigen Hirninfektion
„Damit sind wir auf dem besten Weg von einer nicht-behandelbaren Erkrankung zu einer erfolgreichen PML-Therapie“, kommentiert Professor Skripuletz diese Ergebnisse in einer Pressemitteilung der MHH. Da eine solche Erkrankung vermutlich nur selten im Fokus von behandelnden Ärztinnen und Ärzten steht, komme sie möglicherweise viel häufiger vor als bislang angenommen. Zudem gebe es immer häufiger immunsuppressive Behandlungen bei neurologischen Erkrankungen, die das Risiko einer Hirninfektion durch das JC-Virus erhöhen. (as)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
Autor:
Alexander Stindt
Quellen:
- Allogeneic BK Virus-Specific T-Cell Treatment in 2 Patients With Progressive Multifocal Leukoencephalopathy, in Neuroimmunology & Neuroinflammation (veröffentlicht 17.05.2021), Neuroimmunology & Neuroinflammation
- Medizinische Hochschule Hannover: MHH entwickelt neue Behandlung gegen Hirnentzündung (veröffentlicht 18.05.2021), MHH
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.
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