Berlin - Zu Beginn der Corona-Pandemie vor mehr als eineinhalb Jahren gab es bereits die Vermutung, dass vorangegangene Erkältungen mit anderen Coronaviren für eine bessere Immunreaktion gegen Sars-CoV-2 sorgen könnten. Man spricht von einer sogenannten Kreuzimmunität. Forscher rechneten in Modellierungen im März 2020 mit einem Anteil von null bis mehr als 30 Prozent der Bevölkerung, die dadurch mehr oder weniger geschützt sein könnten.
Bereits im Sommer 2020 berichteten Charité-Forscher im Fachjournal Nature, dass sich in 35 Prozent der Proben von gesunden Blutspendern „kreuzreagierende“ T-Zellen gegen SARS-CoV-2 gefunden hätten, obwohl die Spender nie Kontakt mit dem Virus hatten. Wahrscheinlich stammten diese T-Zellen „aus früheren Begegnungen mit endemischen Coronaviren“, schrieben die Forscher. Der Begriff „endemisch“ bedeutet, dass sie seit langem regional heimisch sind.
Kreuzimmunität aus dem Kontakt mit harmlosen Erkältungscoronaviren
In bestimmten Kreisen wurde dies als „Jeder Dritte ist immun gegen Corona“ missinterpretiert. Doch um vollständige Immunität geht es nicht, sondern um den möglichen Einfluss auf den Verlauf einer Infektion mit Sars-CoV-2. Forscher vermuteten: Dieser könnte milder sein durch die Kreuzimmunität. Aber auch das Gegenteil wäre möglich. „Bei manchen Viren führt eine zweite Infektion mit einem ähnlichen Virusstamm nämlich zu einer fehlgeleiteten Immunantwort, mit negativen Auswirkungen auf den Krankheitsverlauf“, erklärte die Immunbiologin Lucie Loyal, Erstautorin der Charité-Studie vom Sommer 2020.
Lucie Loyal ist auch Erstautorin einer neuen Berliner Studie, die gerade im Wissenschaftsjournal Science erschienen ist. Diese Studie bestätigt die Annahme einer schützenden Wirkung früherer Erkältungen. „Bestimmte Immunzellen, die Menschen in der Vergangenheit gegen Erkältungscoronaviren gebildet haben, stärken die Immunreaktion gegen SARS-CoV-2 – sowohl während der natürlichen Infektion als auch nach einer Impfung“, teilen die Charité, das BIH und das Max-Planck-Institut für molekulare Genetik gemeinsam mit.
Mit „bestimmten Immunzellen“ sind jene T-Zellen gemeint, wie sie bereits vor mehr als einem Jahr von den Charité-Forschern in einem Teil der Blutproben von Gesunden entdeckt worden waren. Sie stammen aus der Auseinandersetzung des Körpers mit „harmloseren Erkältungscoronaviren“ in der Vergangenheit. Damit sind jene vier Arten von Coronaviren gemeint, die seit langem unter den Menschen verbreitet sind. Sie tragen die unspektakulären Namen NL63, OC43, 229E und HKU1.
„Eine Infektion mit diesen Viren verursacht in der Regel milde Atemwegserkrankungen“, heißt es zur Erklärung auf einer Seite des Deutschen Primatenzentrums. „Man schätzt, dass etwa 30 Prozent aller Patienten mit Erkältungen, die beim Arzt vorstellig werden, eine Coronavirus-Infektion durchlaufen.“ Schwere Krankheitsverläufe seien selten und würden hauptsächlich bei Kleinkindern, älteren Menschen und immungeschwächten Patienten beobachtet.
T-Zellen erkennen bestimmten Bereich der Corona-Dornenkrönchen
Durch den Kontakt mit den heute relativ harmlosen Erkältungs-Coronaviren bildet das Immunsystem nicht nur Antikörper. Deren Konzentration nimmt mit der Zeit ab. Wichtiger für eine langfristige Abwehr ist die sogenannte zelluläre Immunantwort mithilfe von T-Zellen, auch T-Helferzellen und T-Lymphozyten genannt. Sie gehören zu den weißen Blutkörperchen und spüren Zellen auf, die vom Virus befallen sind, um sie zu zerstören. Das Virus erkennen sie an der Struktur des sogenannten Spike-Proteins auf der Virusoberfläche. Diese dornenartigen Auswüchse geben den Coronaviren ihr typisches Aussehen.
Eine sogenannte Kreuzreaktivität wurde inzwischen in einer ganzen Reihe von Studien bestätigt, wie die Charité schreibt. Die Frage aber war, wie die T-Zellen den Verlauf einer Sars-CoV-2-Infektion beeinflussen.
Für ihre Studie rekrutierten die Forscher ab Mitte 2020 fast 800 Menschen, die noch nicht mit Sars-CoV-2 in Kontakt gekommen waren. Sie prüften in regelmäßigen Abständen, ob diese sich mit dem Erreger infiziert hatten. Bei 17 Personen war das der Fall. Bei der Analyse des Immunsystems der Betroffenen zeigte sich, „dass der Körper T-Helferzellen, die er gegen endemische Erkältungscoronaviren gebildet hatte, auch gegen Sars-CoV-2 mobilisierte“, wie es in der Mitteilung zu der Studie heißt. Die Immunantwort gegen das neuartige Coronavirus sei umso besser gewesen, je mehr dieser T-Zellen vor der Infektion vorhanden gewesen seien.
Die T-Zellen hätten besonders häufig einen bestimmten Bereich des Spike-Proteins erkannt, der bei den verschiedenen Viren besonders ähnlich gestaltet ist. „Bei Erkältungen mit harmloseren Coronaviren baut das Immunsystem also eine Art universelles, schützendes Coronavirus-Gedächtnis auf“, sagt Claudia Giesecke-Thiel vom Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin-Dahlem, leitende Autorin der Studie. „Wenn es nun mit Sars-CoV-2 in Kontakt kommt, werden solche Gedächtniszellen wieder aktiviert und greifen nun auch den neuen Erreger an.“
Auch bei der Impfung greift der Körper teilweise auf Immungedächtnis zurück
Das könnte zu einer schnelleren Immunantwort gegen Sars-CoV-2 beitragen. Sie wirke einer ungehinderten Ausbreitung des Virus im Körper zu Beginn der Infektion entgegen und beeinflusse den Verlauf der Erkrankung vermutlich günstig.
„Das bedeutet nicht, dass man durch vergangene Erkältungen mit Sicherheit vor Sars-CoV-2 geschützt ist“, schränkt die Wissenschaftlerin ein. „Eine Impfung ist in jedem Fall wichtig.“ Die Studie liefert aber eine von mehreren Erklärungen für die seit Beginn der Pandemie gemachte Beobachtung, dass eine Sars-CoV-2-Infektion bei verschiedenen Menschen so unterschiedlich verlaufen kann.
Das Forscherteam wies zugleich nach, dass die „kreuzreagierenden“ T-Zellen den Effekt von Impfungen mit dem Vakzin von Biontech verstärkten. Der Impfstoff bewirkt der Darstellung zufolge, dass der Körper das Spike-Protein von Sars-CoV-2 produziert und dem Immunsystem präsentiert. Und auch hier erkennen die T-Zellen jenen besonders ähnlich gestalteten Bereich der Dornenkrönchen offenbar sicher. Die Forscher sprechen von einem „konservierten“ Bereich.
„Eine Analyse der Immunreaktion von 31 gesunden Personen vor und nach der Impfung ergab: Während normale T-Helferzellen über einen Zeitraum von zwei Wochen schrittweise aktiviert wurden, sprachen die kreuzreagierenden T-Helferzellen innerhalb von einer Woche sehr rasch auf die Impfung an“, teilt die Charité mit. Das habe sich auch positiv auf die Bildung von Antikörpern ausgewirkt. Bereits nach der Erstimpfung produzierte der Körper den Darstellungen zufolge „Antikörper mit einer Geschwindigkeit, die sonst nur bei Auffrischungsimpfungen beobachtet wird“.
„Auch bei der Impfung kann der Körper also zumindest teilweise auf ein Immungedächtnis zurückgreifen, wenn er bereits Erkältungen mit endemischen Coronaviren durchgemacht hat“, sagt der Charité-Professor Andreas Thiel, ebenfalls leitender Autor der Studie. „Das könnte die überraschend schnelle und sehr hohe Schutzwirkung erklären, die wir zumindest bei jüngeren Menschen schon nach einer Covid-19-Erstimpfung beobachten.“
Die Schutzwirkung geht im höheren Alter zurück
Mit zunehmendem Alter nimmt dagegen die Kreuzimmunität ab. Das zeigten die Forscher in einem zweiten Teil der Studie. Sie analysierten dafür die T-Zellen bei etwa 570 gesunden Personen. Und sie fanden heraus, dass sowohl die Anzahl der „kreuzreagierenden T-Zellen“ als auch deren Bindungsstärke bei älteren Studienteilnehmern geringer waren als bei jüngeren. Sie führen diese abnehmende Kreuzimmunität auf natürliche Veränderungen des alternden Immunsystems zurück. Dieses reagiert weniger effektiv auf eindringende Erreger.
„Der Vorteil, den eine harmlose Coronavirus-Erkältung jüngeren Menschen bei der Bekämpfung von Sars-CoV-2 und auch beim Aufbau des Impfschutzes häufig bringt, fällt bei älteren Menschen leider geringer aus“, sagt Andreas Thiel. Das könnte zum großen Teil erklären, warum ältere Menschen häufiger schwer an Covid-19 erkranken und der Impfschutz bei ihnen schwächer ausfällt oder schneller nachlässt als bei jüngeren. Andreas Thiel sagt: „Eine dritte Auffrischungsimpfung könnte in dieser stärker gefährdeten Bevölkerungsgruppe die schwächere Immunantwort vermutlich ausgleichen und für einen ausreichenden Impfschutz sorgen.“
Charité-Studie: Frühere Erkältungen stärken die Immunreaktion gegen Corona - Berliner Zeitung
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