
Immunzellen aus früheren Erkältungen mit anderen, schon länger bekannten Coronaviren stärken offenbar die Immunreaktion des Menschen auch gegen das neuartige Coronavirus Sars-CoV-2 – und zwar sowohl während einer akuten Infektion als auch direkt nach einer Impfung. Das zeigt eine Studie der Berliner Charité, die damit einer Studie aus Kiel von 2020 widerspricht.
Im vergangenen Jahr machten Wissenschaftler der Berliner Charité eine überraschende Entdeckung: Patienten, die nie zuvor in Kontakt mit Sars-CoV-2 gekommen waren, besaßen Gedächtnis-Immunzellen, die dieses neuartige Coronavirus dennoch erkannten. Erklärt wurde das damit, sich diese sogenannten T-Helferzellen bereits in der Vergangenheit mit harmloseren Erkältungscoronaviren hatten auseinandersetzen müssen; und dass sie aufgrund der ähnlichen Struktur des Erregers, insbesondere des Spike-Proteins auf der Virusoberfläche, deshalb auch das neue Coronavirus angreifen konnten.
Kreuzimmunität kann bei Neuinfektion nützen – oder schaden
Unklar – und weltweit intensiv diskutiert – blieb allerdings die Frage, wie diese Immunzellen den Verlauf einer späteren Sars-CoV-2-Infektion beeinflussen würden. Denn eine Kreuzreaktion der T-Helferzellen kann im Fall einer Infektion mit einem ähnlichen Virusstamm eine positive, aber auch eine negative Wirkung entfalten: Sie kann das Immunsystem für eine zweite Infektion fitmachen; sie kann aber auch zu einer fehlgeleiteten Immunantwort führen – und den Krankheitsverlauf damit sogar verschlimmern. Die jetzt vorgelegte Studie aus Berlin stützt die erstere – positive – Variante.
T-Helferzellen haben an harmlosen Coronaviren „geübt“
Für die Studie rekrutierten die Forschenden ab Mitte 2020 fast 800 Menschen, die noch nicht mit Sars-CoV-2 in Kontakt gekommen waren, und prüften in regelmäßigen Abständen, ob diese sich mit dem Erreger infiziert hatten. Das war bei 17 Personen der Fall. Deren Immunsystem analysierte die Forschungsgruppe sowohl vor als auch während der Infektion im Detail. Dabei zeigte sich, dass der Körper T-Helferzellen, die er gegen endemische Erkältungscoronaviren gebildet hatte, auch gegen Sars-CoV-2 mobilisierte. Außerdem fiel die Immunantwort gegen Sars-CoV-2 qualitativ umso besser aus, je mehr dieser kreuzreagierenden Zellen vor der Infektion vorhanden waren.
Immunzellen erkennen das typische stachelige Spike-Protein
Die Zellen erkannten dabei besonders häufig einen bestimmten Bereich des Spike-Proteins. Die Struktur der alten und des neuen Coronavirus ist an dieser Stelle „konserviert“, also besonders ähnlich gestaltet. „Bei Erkältungen mit harmloseren Coronaviren baut das Immunsystem also eine Art universelles, schützendes Coronavirus-Gedächtnis auf“, erklärt Claudia Giesecke-Thiel vom Max-Planck-Institut für molekulare Genetik, die leitende Autorin der Studie. „Wenn es nun mit Sars-CoV-2 in Kontakt kommt, werden solche Gedächtniszellen wieder aktiviert und greifen nun auch den neuen Erreger an.“
Nach Impfung: Antikörper-Bildung läuft doppelt so schnell
Einen immunverstärkenden Effekt der kreuzreagierenden T-Zellen wiesen die Wissenschaftler auch bei einer Covid-19-Impfung mit dem Vakzin von Biontech/Pfizer nach. Eine Analyse der Immunreaktion von 31 gesunden Personen vor und nach der Impfung ergab: Während normale T-Helferzellen über einen Zeitraum von zwei Wochen schrittweise aktiviert wurden, sprachen die kreuzreagierenden T-Helferzellen innerhalb von einer Woche sehr rasch auf die Impfung an. Das wirkte sich auch positiv auf die Bildung von Antikörpern aus: Der Körper konnte schon nach der Erstimpfung mit einer Geschwindigkeit, die sonst nur bei Auffrischungsimpfungen beobachtet wird, Antikörper gegen die konservierte Stelle im Spike-Protein produzieren.
Körper kann partiell auf Immungedächtnis zurückgreifen
„Auch bei der Impfung kann der Körper also zumindest teilweise auf ein Immungedächtnis zurückgreifen, wenn er bereits Erkältungen mit endemischen Coronaviren durchgemacht hat“, sagt Professor Andreas Thiel von der Charité, der zweite leitende Autor der Studie. „Das könnte die überraschend schnelle und sehr hohe Schutzwirkung erklären, die wir zumindest bei jüngeren Menschen schon nach einer Covid-19-Erstimpfung beobachten.“
Ein Corona-Kontakt schützt nicht vor allen Viren dieses Typs
Trotz dieser erfreulichen Erkenntnisse warnen die Wissenschaftler vor Illusionen. „Das bedeutet nicht, dass man durch vergangene Erkältungen mit Sicherheit vor Sars-CoV-2 geschützt ist“, sagt Autorin Claudia Giesecke-Thiel. „Eine Impfung ist in jedem Fall wichtig.“
Die vier bekannten „Erkältungs-Coronaviren“
In der Medizin sind vier Coronaviren bekannt, die seit Längerem im Menschen zirkulieren und als endemische humane Coronaviren (HCoV) bezeichnet werden. Ihre wissenschaftlichen Bezeichnungen klingen wie menschenähnliche Roboter aus dem Film „Krieg der Sterne“:
- HCoV-OC43
- HCoV-229E
- HCoV-HKU1
- HCoV-NL63
Sie rufen für gewöhnlich Erkältungssymptome hervor. Schätzungen zufolge machen sie bis zu 30 Prozent aller Erkältungen aus.
Kreuzimmunität: Widerspruch zu Kieler Studie von 2020
Die Ergebnisse der jetzt von der Charité publizierten Studie stehen im Widersprch zu einer Untersuchung des Kieler Exzellenzclusters „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ vom Dezember 2020. Hier kommen die Wissenschaftler zu dem Schluss, dass ein früherer Kontakt mit den gewöhnlichen Corona-Erkältungsviren offenbar doch nicht vor COVID-19 schützt.
Foto: AdobeStock/rrice
Frühere Erkältungen mit harmloseren Coronaviren verbessern Immunreaktion gegen Sars-CoV-2 - Gesundheitsstadt Berlin
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