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Sunday, October 3, 2021

Darmgesundheit: Einmal durchspülen, bitte! | ZEIT ONLINE - ZEIT ONLINE

Einmal durchspülen, bitte! – Seite 1

Die Menschen im antiken Ägypten hatten ein schreckliches Bild vom Darm. Sie waren überzeugt, dass dort schlecht verdautes Essen vor sich hin rottet und Giftstoffe bildet, die sich übers Blut im ganzen Körper verbreiten. Die angebliche Folge: Fieber und Entzündungen an anderen Organen (Journal of Clinical Gastroenterology: Chen & Chen., 1989). Über den Darm, so glaubte man zu jener Zeit, vergiftet sich der Körper selbst. 

Die Vorstellung, dass Reste unseres Stuhls irgendwie im Darm verbleiben und so Krankheiten verursachen, hielt sich noch lange nach der Zeit des alten Ägyptens. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde sie in der Medizin verworfen. Doch verschwunden ist sie nicht. Auch heute noch sind Menschen davon überzeugt, ihren Darm reinigen zu müssen. Der Markt für Mittel, die dabei helfen sollen, ist riesig. "Darmkuren" gibt es in Onlineapotheken und Bioläden, in Lifestyle-Zeitschriften findet man Rezepte für hausgemachte Kuren. Heilpraxen bieten Darmspülungen an und werben mit prominenten Fans. Ist all das notwendig? Sollten wir unserer Gesundheit zuliebe regelmäßig den Darm erneuern? Kann er das nicht selbst?

Pulver, Einläufe, Kuren oder Spülungen sollen den Darm reinigen

Normalerweise stünde an dieser Stelle eine Definition, was eine Darmerneuerung eigentlich ist und wie sie abläuft. Aber schon da wird es schwierig. Zuerst einmal gibt es keinen einheitlichen Begriff: Darmkur, Darmsanierung oder auch Darmreinigung beschreiben verschiedene Prozeduren, die unterschiedlich aufgebaut sein können.

Da gibt es zum Beispiel Pulver, die man regelmäßig einnehmen soll und die Erholung für den Darm versprechen. Hinzu kommen Einläufe, die es für den Hausgebrauch fertig zu kaufen gibt. Zu einigen Programmen gehören Fastenkuren oder Ernährungsumstellungen. Andere arbeiten mit Abführmitteln. Es gibt auch Heilpraxen, die den kompletten Dickdarm mit mehreren Litern Flüssigkeit spülen. 

Ein wichtiges Ziel aller Prozeduren, die zu den Darmkuren zählen, ist, den Darm zu entleeren und von vermeintlichen Ablagerungen zu reinigen. Anschließend soll die Darmflora, also die natürliche Besiedelung des Darms mit Mikroorganismen, neu aufgebaut werden, etwa mit Pro- und Präbiotika. Probiotika enthalten beispielsweise Milchsäurebakterien oder Hefe – Mikroorganismen also für eine neue Darmflora. Die Präbiotika sind dagegen als Futter für die neuen Darmbewohner gedacht: Ballaststoffe, die den Bakterien helfen sollen, zu gedeihen.

Sitzen die falschen Bakterien im Darm?

Die Begründungen, warum es überhaupt notwendig sein soll, den Darm zu sanieren, sind teils widersprüchlich. Eine Theorie besagt zum Beispiel, dass Kotablagerungen an den Darmwänden den Körper daran hindern, Nährstoffe aufzunehmen. Giftstoffe dagegen könnten weiter ungehindert passieren (Colorectal Disease: Seow-Choen, 2009). Sie sollen sich dann im Körper verbreiten und Allergien oder sogar Krankheiten wie Arthritis hervorrufen. Außerdem sollen sie dazu führen, dass man Gewicht zulegt, müde ist, an Verstopfung oder Durchfall leidet. Wer die Giftstoffe aus dem Darm befördert, kann solchen Leiden angeblich vorbeugen. Und obendrein Stimmungsschwankungen und Stress entgegenwirken, das Immunsystem stärken und das allgemeine Wohlbefinden verbessern. 

Es gibt bislang allerdings keine wissenschaftlichen Beweise dafür, dass all diese Krankheiten und Beschwerden aus einer bakteriellen Fehlbesetzung des Darms hervorgehen und mit Darmkuren behoben werden könnten. Das liegt auch daran, dass kaum verlässliche Studien dazu existieren. 

Nachfrage bei einem, der sich in den Darmwindungen der Menschen gut auskennt: der Internist und Gastroenterologe Herbert Tilg von der Medizinischen Universität Innsbruck. Er behandelt Patienten mit chronischen Darmerkrankungen, bietet allerdings keine Darmkuren an. "Wenn Sie so wollen, bekommen Sie bei einer Darmspiegelung auch eine Darmkur", sagt Tilg. "Dafür wird der Darm ja einmal komplett entleert." Auch manchen seiner Patienten geht es nach einer Darmspiegelung mit vorheriger Darmentleerung tatsächlich für kurze Zeit besser. "Dieser Effekt ist allerdings vorübergehend und hält in den meisten Fällen nur kurz an. Nach ein paar Wochen geht es allen genau wie vorher", sagt der Internist.

Der Darm reinigt sich selbst und darin ist er ziemlich gut

Dass es bislang nicht mehr Studien zu dem Thema gibt, begründet Tilg auch mit dem Zeitfaktor. Einige Darmerkrankungen, bei denen Darmkuren vielleicht etwas ausrichten könnten, verursachen starke Schmerzen und einen hohen Leidensdruck. Morbus Crohn oder Collitis ulcerosa zum Beispiel. "Bei diesen Patienten können wir nicht abwarten, ob die Darmreinigung allein etwas bewirkt. Es müssen Medikamente eingesetzt werden, die sicher und zügig anschlagen", sagt Tilg.

Ein gesunder Darm ist zudem sehr gut selbst in der Lage, alle unbrauchbaren Stoffe abzuführen. Dafür ist er ständig in Bewegung. Die Darmwände sind mit Schleim überzogen, die eine Schutzbarriere darstellen, sodass sich eben nichts festsetzt. Medizinisch gesehen ist eine Darmreinigung also nur notwendig, wenn eine Darmspiegelung ansteht. Dafür werden Abführmittel und Einläufe verabreicht. Die Reinigung stellt sicher, dass sich die Darmschleimhäute optimal begutachten lassen.

Die Besonderheit der Reizdarmpatienten

Und dennoch gibt es viele Menschen, die auf Darmkuren schwören und sagen, dass es ihnen anschließend merklich besser geht. "Häufig berichten etwa Patienten mit einem Reizdarmsyndrom, dass ihnen Darmreinigungen oder -kuren sehr guttun", sagt Tilg. "Man muss allerdings beachten, dass es beim Reizdarmsyndrom ohnehin eine Placeborate von 60 Prozent gibt." Das heißt, in Studien gaben laut Tilg 60 Prozent derjenigen, die statt eines richtigen Medikaments nur ein Placebo erhalten hatten, später an, dass sich ihre Symptome gebessert hätten. 

Damit etwa Darmkuren als eine echte Therapie eingesetzt werden können, müssten sie eine höhere Erfolgsrate haben als der Placeboeffekt, sagt Tilg. Studien dazu fehlen aber bislang. 

Erschwerend komme hinzu, dass bis heute die Ursache des Reizdarmsyndroms nicht geklärt sei. Wie bei vielen anderen Erkrankungen können Ärztinnen und Ärzte daher nur die Symptome behandeln. Das führt auf Patientenseite verständlicherweise oft zu Enttäuschung. Viele seien unzufrieden, weil die Medizin ihre Beschwerden nicht lindert, und wenden sich deshalb alternativen Methoden wie Darmreinigungen zu. "Viele Patienten wünschen sich, dass wir als Ärzte Lösungen haben, heilen können, aber das funktioniert leider nicht bei jedem Krankheitsbild", sagt Herbert Tilg. Umfragen unter Anhängern von Darmkuren bestätigen diese Erwartungshaltung (Colorectal Disease: Taffinder et al., 2004).

Die Macht der Darm-Achsen

Expertinnen und Experten leugnen aber keinesfalls, dass der Darm eine immense Funktion für den Körper besitzt, die über das reine Verdauen hinausgeht. Man kennt inzwischen zum Beispiel verschiedene Achsen, die vom Darm ausgehen. Dazu gehört die Darm-Hirn-Achse, die das psychische Wohlbefinden mit der Darmgesundheit verknüpfen soll (International Journal of Neuropsychopharmacology: Bastiaanssen et al., 2019, Clinics and Practice: Clapp et al., 2017). "Oder die Darm-Haut-Achse, die Erklärungen dafür liefern könnte, warum die Haut bei Erkrankungen des Verdauungstraktes wie Zöliakie oder Morbus Crohn oft mitbeteiligt ist", sagt der Internist Tilg.

Es gebe auch Hinweise, dass Darmkeime in andere Körperregionen wandern – in die Leber oder sogar bis ins Gehirn. Doch die Medizin habe all diese Verbindungen noch längst nicht verstanden, sagt Tilg. "Ich verstehe Patienten, die eine schnelle Lösung wollen. Wir kennen die Komplexität vieler Krankheitsbilder allerdings noch nicht gut genug, um schnelle, einfache Lösung anbieten zu können." 

Viele Anbieter von Darmkuren und -sanierungen nutzen genau das aus. Insbesondere Probiotika sind laut Tilg ein riesiges Geschäft. Dabei gebe es bislang kaum Evidenz dafür, dass sie wirken. "Geringfügig finden sich vielleicht positive Effekte. Was wir dagegen wissen: Immunschwache Patienten können durch Probiotika sogar kränker werden." Und viele Fragen seien längst nicht geklärt: Zum Beispiel, welche Keime und wie viele man nach einer Darmreinigung wieder zuführen sollte. Benötige ich 90 Prozent meiner alten Keimwelt? Die wichtigsten hundert Keimfamilien aus circa 5.000, die wir alle besitzen? Und welche sind die wichtigsten hundert? "Wir wissen, dass manche Keimgruppen wahrscheinlich wichtiger sind als andere", sagt Tilg, "aber größtenteils können wir diese Fragen noch nicht beantworten."

Bedeuten also all diese Darmkuren rausgeschmissenes Geld? Aus evidenzbasierter Sicht: ja. Menschen, die an Beschwerden im Verdauungsapparat leiden, können durch Darmreinigungen zwar vorübergehend Linderung erfahren. Bei Verstopfungen oder Stuhlinkontinenz beispielsweise zeigen Studien durchaus positive Effekte (Techniques in Coloproctology: Bazzocchi & Giuberti, 2017).

Doch hat das Versprechen der Rundumerneuerung von innen nicht allzu viel Substanz. Wichtiger für den Darm ist aus Sicht von Medizinerinnen und Medizinern eine gute Ernährung. "Unsere Ernährung steuert über unser ganzes Leben hinweg unsere Keimwelt", sagt Tilg. Ein Drittel aller bekannten Erkrankungen ließe sich unter anderem auf eine falsche Ernährung zurückführen. "Die Keimwelt ist dabei der große unverstandene Elefant. Sie ist der Mittler zwischen Ernährung, Immunsystem und anderen Prozessen." Und ja, man kann diese Keimwelt mit Darmkuren kurzzeitig verändern. Aber diese Veränderungen sind erstens nicht nachhaltig und zweitens ist fraglich, ob sie überhaupt wünschenswert sind.

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