Rechercher dans ce blog

Tuesday, October 19, 2021

Hundert und glücklich - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

Frau Jopp, vor zwanzig Jahren lebten in Deutschland knapp 3000 Menschen, die ein Alter von hundert Jahren oder mehr erreicht hatten. 2010 waren es bereits 13 198. Und wie sieht es heute aus?

Die neusten Daten wurden gerade vor ein paar Wochen veröffentlicht: Da lebten in Deutschland genau 20 465 Männer und Frauen im Alter von mindestens hundert Jahren.

Kaum zu glauben! Ist Deutschland damit ein Ausnahmefall?

Im Gegenteil. Zwischen 2006 und 2011 hat sich die Zahl der Menschen im Alter von „hundert plus“ in Europa verdoppelt. Den Vereinten Nationen zufolge lebten 2020 rund eine halbe Million Männer und Frauen aus dieser Altersgruppe.

Auf welche Weise hat die Corona-Pandemie diese Zahlen verändert?

Gerade für sehr alte Menschen bedeutet dieses Virus natürlich eine große Gefahr. Daten aus Italien belegen zum Beispiel, dass dort während der ersten Welle der Pandemie mehr sehr alte Menschen gestorben sind, als dies normalerweise zu beobachten ist. In Deutschland dagegen ist die Zahl der Hundertjährigen jüngst, trotz der Pandemie, sogar gestiegen: Im Vergleich zum Vorjahr wurden bei der jüngsten Erhebung 3523 mehr Personen gezählt, die mindestens hundert Jahre alt waren. Das liegt sicher auch daran, dass neue Jubilare dazugekommen sind. Vielleicht waren Hundertjährige aber auch besonders geschützt, durch ihre Lebensweise oder auch die Unterstützung der Angehörigen und die Maßnahmen, die gegen die Pandemie erhoben wurden. Ob es hierzulande dennoch eine erhöhte Sterblichkeit der Hundertjährigen wegen Covid-19 gab, muss noch geklärt werden. Fest steht aber, dass selbst das Coronavirus die starke Zunahme der Hundertjährigen nicht bremsen konnte – was einen Eindruck von der enormen demographischen Entwicklung in dieser Bevölkerungsgruppe gibt.

Die Psychologin Daniela Jopp.

Die Psychologin Daniela Jopp. : Bild: dpa

Wie kamen die Hundertjährigen denn mit den Einschränkungen durch die Pandemie zurecht?

Für Deutschland haben wir zu dieser Frage leider noch keine Informationen. Im Rahmen unserer aktuellen Studie SWISS100 in der Schweiz konnten wir aber telefonische Interviews mit fünfzig Hundertjährigen und sechzig Angehörigen durchführen. Schwierig war es vor allem für jene Hundertjährigen, die vor der Pandemie noch recht aktiv waren. Diese Gruppe litt enorm darunter, dass aufgrund der Ansteckungsgefahr alle Freizeitangebote in Heimen und Gemeinden abgesagt wurden und enge Familienangehörige in den Pflegeheimen monatelang nicht zu Besuch kommen durften. Einige fühlten sich sehr isoliert. Die Angehörigen berichteten, dass sich die Gesundheit der Hundertjährigen in der Zeit deutlich verschlechtert hat, auch weil neben den Aktivitäten etwa Maßnahmen wie Physiotherapie gestrichen wurden. Eine unterschätzte Herausforderung für Hochbetagte sind die Corona-Masken: Die meisten sehr alten Menschen hören nicht mehr gut und sind darauf angewiesen, die Mimik der Sprecher einzubeziehen. Masken machen die Kommunikation für sie schwierig.

Man würde erwarten, dass die meisten Hundertjährigen ohne professionelle Unterstützung nicht zurecht kommen. Doch eine Ihrer Studien hat ergeben, dass in Deutschland mehr als die Hälfte der Menschen in diesem hohen Alter noch zu Hause wohnen.

Erstaunlich, nicht wahr? Und Untersuchungen aus den USA, beispielsweise aus New York, zeigten, dass es dort sogar bis zu 70 Prozent sind. In der Schweiz scheint sich die Situation übrigens etwas anders darzustellen: Der überwiegende Teil der „Generation hundert plus“ lebt hier offenbar in Pflegeheimen, nach vorläufigen Schätzungen etwa 65 Prozent. Daten aus einer früheren Studie deuten zudem darauf hin, dass die Hochbetagten in der Schweiz tendenziell gebrechlicher sind als in anderen Ländern. Warum, wollen wir noch herausfinden.

Halten Sie ein extrem langes Leben denn für erstrebenswert? Oder sehnen sich Hochbetagte danach, endlich sterben zu können?

Nein. Nur etwa 20 bis 25 Prozent der Menschen aus dieser Altersgruppe wollen nicht mehr leben. Das ergaben Studien, die ich selbst in Deutschland und Portugal geleitet oder mit durchgeführt habe. Die große Mehrheit aus der Generation hundert plus hat offensichtlich noch Spaß am Leben. Viele Hochbetagte freuen sich zum Beispiel dar­über, mit ihren Enkeln oder Urenkeln Zeit verbringen zu können. Im Rahmen unserer Untersuchung aus Deutschland gaben mehr als 80 Prozent der Hundertjährigen an, sie seien „mit ihrem Leben zufrieden“.

Dabei ist im Alter von hundert Jahren wahrscheinlich niemand mehr ganz gesund, oder?

Richtig. Durchschnittlich haben so alte Menschen vier bis fünf chronische Krankheiten oder Beeinträchtigungen. Sehr viele sehen zum Beispiel nicht mehr gut und haben Schwierigkeiten beim Gehen. Doch ist man erst einmal hundert Jahre alt, fallen gesundheitliche Probleme offenbar nicht mehr so stark ins Gewicht. Vielen Hochbetagten gelingt es, sich trotz aller Einschränkungen wohlzufühlen. In der Psychologie nennen wir dieses Phänomen das Wohlbefindensparadox.

Also sind uralte Menschen glücklich, obwohl sie den ganzen Tag auf dem Sofa dösen oder fernsehen?

Da machen Sie sich falsche Vorstellungen. In Wirklichkeit legen viele sehr alte Menschen noch immer eine große Vitalität an den Tag: Eine Dame aus den USA, die ich im Rahmen einer Studie befragte – sie war damals etwa 101 Jahre alt –, lud zum Beispiel regelmäßig ihre Bekannten sowie einen buddhistischen Mönch zu sich ein, um gemeinsam zu meditieren.

 Otto Schwab, am 20. März 1915 in Regensburg geboren, wurde als Torwart und ältester Fan des FC Bayern bekannt. Er starb ein halbes Jahr nach seinem 100. Geburtstag.

Otto Schwab, am 20. März 1915 in Regensburg geboren, wurde als Torwart und ältester Fan des FC Bayern bekannt. Er starb ein halbes Jahr nach seinem 100. Geburtstag. : Bild: Katharina Alt

Haben Sie auch in unseren Breiten so rüstige Hochbetagte kennengelernt?

Sehr erfrischend war zum Beispiel ein 103 Jahre alter Mann aus der Kleinstadt Vevey in der Westschweiz. Wir hatten ihn wegen der Studie SWISS100 angeschrieben. Einen Tag später rief er an und wollte unbedingt mitmachen. Es eile allerdings etwas, sagte er, denn er sei gerade auf dem Sprung: In wenigen Tagen fliege er nach New York, um seine Urenkelin zu besuchen. Sein Anruf erreichte uns während einer Hochphase der Corona-Pandemie. Aber es scheint alles gut gelaufen zu sein mit der Reise. Kürzlich rief er wieder an, er sei jetzt zurück aus Amerika und wolle endlich die Ergebnisse unserer Studie sehen.

Im hohen Alter soll man anfälliger für Depressionen sein. Ist das wahr?

Das wird oft behauptet. Aber ich fand bei keiner meiner Studien Anzeichen dafür. Tendenziell scheinen Depressionen in dieser Altersgruppe sogar etwas seltener aufzutreten als bei jüngeren Menschen. In Deutschland haben wir das Wohlbefinden von Vierzigjährigen mit Sechzigjährigen und Hundertjährigen systematisch verglichen. Die Unterschiede waren sehr gering. Und Hundertjährige gaben ebenso oft wie Vierzigjährige an, dass sie im Alltag häufig lachen. Die mittlere Altersgruppe erreichte da keine so hohen Werte.

Muss man Akademiker sein, um ein sehr hohes Alter zu erreichen?

Nein. Für die hohe Lebenserwartung spielt das Bildungsniveau anscheinend nur eine untergeordnete Rolle. Auch bezüglich Gesundheitsstatus, Lebenszufriedenheit oder Depressionen fanden wir keine signifikanten Unterschiede zwischen Menschen mit vielen oder wenigen Bildungsjahren.

Schützt Bildung vor Demenz?

Das nicht. Der Abbau von Hirnzellen verläuft bei Personen mit mehr Bildungsjahren keineswegs langsamer als bei anderen Menschen. Ist man besser gebildet, beginnt dieser Prozess aber, einfach gesagt, auf einem höheren Niveau. Die Betroffenen können Beeinträchtigungen von Gedächtnis und Denkfähigkeit daher oft länger kompensieren oder auch überspielen. Generell verdoppelt sich das Risiko, an Demenz zu erkranken, ab 65 mit jedem Jahrzehnt. Dennoch hatten mehr als die Hälfte der Hundertjährigen aus meinen bisherigen Studien keine oder nur geringe kognitive Beeinträchtigungen.

Sind wohlhabende Länder wie die Schweiz oder Singapur führend, was die Lebenserwartung angeht, weil Reichtum die beste medizinische Versorgung garantiert?

Nicht unbedingt. Es stimmt, dass die Schweiz bezüglich der Lebenserwartung weltweit einen der Spitzenplätze einnimmt und die Versorgung dort sehr gut ist. Aber sehr alt werden die Menschen auch in Ländern wie Frankreich, Italien und Griechenland. Auch Spanien schneidet gut ab. Manche Forscher führen das vor allem auf die sogenannte mediterrane Diät zurück: viel Fisch, viel Gemüse, Früchte, Olivenöl und täglich ein Gläschen Rotwein.

 Brunhilde Pomsel kam 1911 in Berlin zur Welt. Während der Nazi-Zeit arbeitete sie als Sekretärin für den Propagandaminister Joseph Goebbels. Auf diesem Bild ist sie 103, sie starb 2017 in München.

Brunhilde Pomsel kam 1911 in Berlin zur Welt. Während der Nazi-Zeit arbeitete sie als Sekretärin für den Propagandaminister Joseph Goebbels. Auf diesem Bild ist sie 103, sie starb 2017 in München. : Bild: Katharina Alt

Wer uralt werden will, sollte also rasch nach Südeuropa umziehen?

Es gibt auch Alternativen. Weltweit wurde bisher fünf sogenannte Blue Zones entdeckt: Regionen, in denen die Menschen besonders lange leben. Die Inselgruppe Okinawa in Japan zählt dazu, die Ortschaft Villagrande in Sardinien, die Nicoya-Halbinsel in Puerto Rico, die Insel Icaria in Griechenland und Loma Linda, eine Kleinstadt in Kalifornien.

Wieso werden diese Regionen „Blue Zones“ genannt?

Der belgische Demographie-Forscher Michel Poulain, der diese Regionen vor etwa zwanzig Jahren entdeckt hat, markierte sie damals mit einem blauen Kugelschreiber auf der Landkarte. Die Bezeichnung „Blue Zone“ hat sich vielleicht aber auch deshalb etabliert, weil viele dieser Orte von Meer umgeben sind.

Haben diese blauen Zonen sonst noch etwas gemeinsam?

Wenig Stress und ein Sozialgefüge, das alte Menschen besonders gut einbindet. Auf Okinawa beispielsweise engagieren sich Hundertjährige oft noch in Dorfräten. Man ist stolz auf die ältesten Mitbürger und bringt ihnen großen Respekt entgegen.

Spielt die Ernährung denn keine große Rolle für ein langes Leben?

Das würde ich so nicht sagen. Gerade wenn wir an Japan denken, dort sieht man selten übergewichtige Menschen. Die meisten Japaner ernähren sich gesund: viel frisches Obst und Gemüse, Fisch, dafür wenig Fleisch – manches ähnelt auch da der „mediterranen Diät“. Auf Okinawa wächst zudem eine bestimmte Süßkartoffel, die ganz besonders viele Vitamine enthält. Experten vermuten, dass diese Kartoffel zur hohen Lebenserwartung beiträgt.

In Vilcabamba, einem Tal in Ecuador, leben besonders viele uralte Menschen. Hier wird traditionell jede Menge geraucht, Schnaps getrunken und sehr salzhaltig gegessen. Alles total ungesund. Wie passt das zusammen?

Die Sache mit der Lebenserwartung ist sehr komplex. Die Französin Jeanne Calment aus Arles, die mit 122 Jahren älter wurde als alle anderen Menschen der Welt, hat bekanntlich bis in ihr 117. Lebensjahr geraucht. Allerdings war sie genetisch wohl deutlich besser geschützt als die Normalbevölkerung.

Der Schlüssel für ein sehr langes Leben liegt also auch in der genetischen Veranlagung.

Mit Sicherheit. Studien aus den USA haben gezeigt, dass bei Hochbetagten Risikogene für die Ausprägung mancher lebensgefährlicher Krankheiten, etwa koronare Herzerkrankungen und bestimmte Arten von Krebs, im Erbgut fehlen. Und Hochbetagte stammen oft aus Familien, in denen es bereits in den Generationen davor besonders alte Menschen gab, was ebenfalls auf genetische Vorteile hinweist. Aber auch der Lebensstil hat einen Einfluss: Wie hoch ist das Stresslevel? Bewegt man sich viel? Wie ernährt man sich? Wie ist man sozial in die Gesellschaft eingebettet? Wie gut hat man gelernt, mit Problemen umzugehen?

Stimmt es, dass Männer durchschnittlich früher sterben als Frauen?

Ja. Und Frauen haben in jeder Lebensphase eine höhere Wahrscheinlichkeit zu überleben als ihre männlichen Altersgenossen. Besonders groß ist das Ungleichgewicht im sehr hohen Alter: Frauen stellen zwischen 70 und 85 Prozent der Hundertjährigen, je nach Land. Eine Ausnahme bilden dabei nur die schon erwähnten Blue Zones, wo es in dieser Altersgruppe ähnlich viele Männer wie Frauen gibt.

Ist dies biologischen Unterschieden zwischen den Geschlechtern geschuldet? Oder liegt es daran, dass Männer oft schneller Auto fahren, häufiger rauchen und mehr trinken?

Der deutsche Demographie-Forscher Marc Luy hat dazu in den 1990er Jahren eine spannende Untersuchung mit Nonnen und Mönchen aus Bayern begonnen, mittlerweile umfasst sie auch Österreich. Ziel war es, Ursachen für die Geschlechtsunterschiede zu untersuchen, und da der Lebensstil im Kloster für Männer und Frauen sehr ähnlich ist, gibt das Aufschluss darüber, welchen Einfluss dieser und andere Faktoren haben.

 Maria-Ruth Horn, am 22. August 1914 geboren, ließ sich nach ihrem 100. Geburtstag fotografieren.

Maria-Ruth Horn, am 22. August 1914 geboren, ließ sich nach ihrem 100. Geburtstag fotografieren. : Bild: Katharina Alt

Und werden Männer im Kloster prompt genauso alt wie Frauen?

Nein. Die Klosterstudie ergab, dass Frauen auch dort länger lebten, und zwar durchschnittlich ein Jahr. In der Allgemeinbevölkerung beträgt die Differenz zwischen den Geschlechtern aber rund drei Jahre. Dass Unterschiede trotz des gleichen Lebensstils bestehen blieben, belegt die Bedeutung genetischer Faktoren, die sich zum Beispiel über Geschlechtshormone auswirken. Aber die Rolle des Lebensstils ist wichtiger, und weitgehend verantwortlich, für die höhere Sterblichkeit der Männer.

Frauen haben also generell eine größere Chance auf ein langes, glückliches Leben?

Was die Lebensqualität angeht, nicht unbedingt. Interessanterweise sind hochbetagte Männer nämlich oft fitter als Frauen gleichen Alters. Wir erklären uns das durch Selektionseffekte: Für Männer ist die Hürde, so alt zu werden, höher. Die wenigen, die sie dennoch meistern, sind dann eben ganz besonders robust und können auch das elfte Lebensjahrzehnt oft mehr genießen als viele Frauen.

Apropos Fitness: Sie empfehlen auch sehr alten Menschen Krafttraining?

Ja. Viele Untersuchungen weisen darauf hin, dass die Körperkraft eine wichtige Voraussetzung dafür ist, auch im hohen Alter ein erfülltes Leben führen zu können, schon weil Muskelmasse mit dem Alter abnimmt. Dagegen hilft nur gezieltes Training. In Deutschland haben erste Fitnessstudios bereits Vormittage für ältere Menschen reserviert. Aber man kann sich natürlich auch anders fit halten: Tägliche Spaziergänge von zwei bis drei Kilometern etwa trainieren nachweislich nicht nur die Muskulatur der Beine, das Gleichgewicht und den Kreislauf, sondern senken auch das Risiko an Alzheimer zu erkranken – bis ins hohe Alter.

Nun schmerzen oft die Gelenke im Alter. Halten Sie es für sinnvoll, Hundertjährigen noch künstliche Hüftgelenke einzupflanzen?

Nur das Alter heranzuziehen, um solche Entscheidungen zu treffen, führt häufig in die Irre. Ärzte und Betreuer sollten gemeinsam mit den Betroffenen und Angehörigen besprechen, was für ein Leben die Person führt und führen möchte. Daraus ergibt sich, wie wichtig oder unwichtig ein solcher Eingriff im konkreten Fall ist. Es geht ja nicht nur um Gelenkprothesen; mit einer Psychoanalyse zu beginnen scheint im Alter von hundert Jahren wahrscheinlich nicht mehr angezeigt. Oft lässt sich aber auch für die Seele mit überschaubarem Aufwand viel erreichen. Es gibt zum Beispiel Hochbetagte, die enorm unter belastenden Beziehungen zu engen Verwandten leiden. Schon ein bis zwei Sitzungen mit einem Mediator können helfen, das Eis zu brechen.

Was macht Hochbetagten sonst noch besonders zu schaffen? Einsamkeit?

Wissenschaftliche Studien zeigen, dass Einsamkeit das Risiko, zu sterben, genauso stark erhöht wie Rauchen oder Übergewicht. Und viele sehr alte Menschen fühlen sich, nicht ganz zu Unrecht, als die letzten Überlebenden ihrer Generation: Mit wem soll man da seine Erinnerungen noch teilen? Im Rahmen unserer Studie in New York äußerten viele Teilnehmer 2012 den Wunsch nach Telefonnummern anderer Hundertjähriger; sie wollten endlich wieder Leute kennenlernen, mit denen sie sich vernünftig austauschen können. Zur Abschlussveranstaltung reisten etwa zwanzig Damen und Herren aus jener Generation persönlich an und unterhielten sich angeregt bei Kaffee und Kuchen.

Leidet man in so hohem Alter nicht auch häufig unter Schmerzen?

Dreißig Prozent der Hochbetagten, die wir in Deutschland befragt haben, gaben an, oft oder sogar ständig unter Schmerzen zu leiden. Nicht wenige sagten gar, die Intensität dieser Schmerzen sei „kaum zu ertragen“. Dabei kann die moderne Medizin Schmerzen eigentlich gut behandeln. Es stellen sich also viele Fragen: Erhalten Hundertjährige in Deutschland zu wenig Schmerzmedikamente? Oder die falschen Präparate? Vielleicht weisen manche Hochbetagte auch zu wenig auf ihre Schmerzen hin? In jedem Fall scheint es uns wichtig, die Hausärzte für das Thema „Schmerzen im sehr hohen Alter“ zu sensibilisieren.

Molekularbiologen versuchen den Alterungsprozess auf Zellebene zu stoppen. Glauben Sie, dass die ersten Hochbetagten bald ihren 150. Geburtstag feiern werden?

Der menschliche Organismus scheint nicht auf 150 Jahre ausgelegt zu sein, so lautet die übereinstimmende Meinung der Experten. Auch wenn es immer mehr Hundertjährige und auch 110-Jährige gibt: Den Rekord von Jeanne Calment, die am 4. August 1997 im Alter von 122 Jahren starb, hat bis heute niemand gebrochen – seit immerhin einem Vierteljahrhundert. Ich denke nicht, dass Menschen in Zukunft 140 oder 150 Jahre lang leben werden.

Nach all Ihrer Recherche: Möchten Sie selbst hundert Jahre alt werden?

Durch meine Arbeit habe ich unzählige Beispiele positiv gestimmter, sehr humorvoller Hundertjähriger kennengelernt. So oder so ähnlich sehr gern! Allerdings gibt es natürlich auch Hundertjährige, die da weniger Glück hatten. Ein sehr langes Leben mit Schmerzen und kognitiven Einschränkungen würde mich weniger reizen.

Was wäre dann Ihr größter Wunsch zum hundertsten Geburtstag?

Das kann ich heute noch nicht sagen. Nach meiner Erfahrung freuen sich sehr alte Menschen aber oft über Dinge, die auch jüngere mögen, zum Beispiel über ein neues Handy. Ich habe einen Hundertjährigen aus Basel kennengelernt, der mit seiner Tochter, die rund zweihundert Kilometer entfernt in der Westschweiz lebt, über eine App gemeinsam Sudokus löst. Zu zweit, und sei es virtuell, macht ihm das offensichtlich mehr Spaß.

Adblock test (Why?)


Hundert und glücklich - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Read More

No comments:

Post a Comment

Ratgeber - Niesen im Frühling - Erkältet oder schon allergisch? - UNTERNEHMEN-HEUTE.de - UNTERNEHMEN-HEUTE.de

mp Groß-Gerau - Bei Niesreiz ist es schwierig zu differenzieren, ob die Symptome durch eine Pollenallergie oder durch einen Infekthervorger...