Demenz-Frühdiagnose über Sensor-Gurt
Alzheimer und Demenz haben sich in den letzten Jahrzehnten zu weit verbreiteten Volkskrankheiten entwickelt. Betroffene werden mit der Diagnose oft vor vollendete Tatsachen gestellt, denn obwohl sich die Krankheiten über viele Jahre hinweg langsam entwickeln, gibt es derzeit keine Möglichkeit der Früherkennung. Ein Forschungsteam aus der Schweiz will dies nun durch einen neues Frühwarn-System ändern.
Forschende der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) in Dübendorf (Schweiz) entwickeln das erste Früherkennungssystem für Alzheimer und Demenz. Kernstück der Technik ist ein Sensor-Gurt, der neurodegenerative Veränderungen erkennen kann. Mithilfe des Gurts will das Team Erkenntnisse aus der Demenz-Forschung in die Praxis überführen.
Das Alzheimer-Dilemma
Im Zuge der höheren Lebenserwartung und des erhöhten Durchschnittsalters in der Bevölkerung nimmt auch die Prävalenz von neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer zu. Demenz-Erkrankungen gelten im fortgeschrittenen Stadium als unheilbar. Doch in der Regel werden solche Krankheiten aufgrund mangelnder Diagnose-Methoden erst in einem weit fortgeschrittenen Stadium aufgedeckt.
Nach dem heutigen Stand der Technik lassen sich Demenz-Erkrankungen nur über aufwendige und kostspielige Prozeduren diagnostizieren, die unter anderem neuropsychologische Untersuchungen, Labortests und zum Teil invasive Verfahren beinhalten. Studien der letzten Jahre haben gezeigt, dass Demenz-Erkrankungen wie Alzheimer bereits mehrere Jahrzehnte vor den ersten Symptome beginnen können. Zu diesem Zeitpunkt könnten die Krankheiten vielleicht noch aufgehalten oder zumindest deutlich herausgezögert werden.
Frühwarn-System für Demenz-Symptome
Eine Arbeitsgruppe der Empa, des Kantonsspitals und der Geriatrischen Klinik St. Gallen arbeitet nun an einer nicht-invasiven Methode zur frühzeitigen Erkennung von Symptomen einer Demenz-Erkrankung. Herzstück ist dabei ein Sensor-Gurt, der bereits erfolgreich für EKG-Messungen eingesetzt wird. Der Gurt wurde mit Sensoren erweitert, die weitere wichtige Parameter wie Körpertemperatur und Gangmuster auswerten.
Anhand der Parameter lässt sich laut dem Team eine frühe Aussage über das Demenz-Risiko einer Person treffen. Denn bevor das Erinnerungsvermögen nachlässt, komme es zu feineren Veränderungen im Gehirn. Diese wirken auf das sogenannte autonome Nervensystem, welches wiederum unbewusste Körpervorgänge steuert, die über den Sensor-Gurt messbar sind.
Gurt kann in den Alltag integriert werden
Der Gurt kann über einen längeren Zeitraum getragen werden, sodass Langzeitmessungen gesammelt und ausgewertet werden können. „Die Langzeitmessungen sollten in den Alltag integrierbar sein“, bestätigt Simon Annaheim, der zusammen mit Patrick Eggenberger das Forschungsprojekt leitet.
Die erfassten Daten sollen dann von einem eigens für das Projekt entwickelten mathematischen Modell ausgewertet werden, um den Verlauf von kognitiven Einschränkungen abzuschätzen. Ein weiterer Vorteil ist den Forschenden zufolge, dass der Gurt in der gewohnten Umgebung der Patientinnen und Patienten eingesetzt werden kann.
Körpertemperatur kann auf Alzheimer hinweisen
Wie die Arbeitsgruppe erläutert, ist der menschliche Körper in der Lage, seine Temperatur im Bereich von einem Grad Celsius konstant zu halten. Im Laufe eines Tages komme es zu charakteristischen Schwankungen. Mit zunehmendem Alter sowie bei neurodegenerativen Krankheiten wie Demenz oder Parkinson ändern sich diese Werte. Bei Alzheimer-Betroffenen sei die Körperkerntemperatur im Vergleich zu gesunden Personen gleichen Alters im Durchschnitt um 0,2 Grad Celsius höher. Gleichzeitig seien die Schwankungen im Tagesverlauf abgedämpft.
Solche milden Veränderungen werden von den Betroffenen nicht wahrgenommen und schränken auch den Alltag nicht ein, können aber über den Gurt erkannt werden. Tests an Probandinnen und Probanden haben gezeigt, dass Personen mit niedrigeren Körpertemperaturen und stärkeren Schwankungen im Tagesverlauf durchschnittlich eine bessere Hirnleistung aufweisen.
Herzschlag als Demenz-Parameter
Auch der Herzschlag ist laut dem Forschungsteam natürlichen Schwankungen unterworfen, die zeigen, wie sich unser Nervensystem an momentane Herausforderungen anpasst. Der Zeitraum zwischen zwei Herzschlägen habe große Aussagekraft über unsere Gesundheit. Ist die Pause zwischen den Herzschlägen beispielsweise immer gleich, sei dies ein Indiz dafür, dass das Nervensystem nicht in Höchstform ist.
Tanzen gegen Alzheimer
In einer Studie von Forschenden der ETH Zürich wurde ermittelt, dass sich schlechtere Messwerte bei älteren Menschen durch ein kognitiv-motorisches Tanztraining innerhalb von sechs Monaten verbessern ließen. Die Teilnehmenden tanzten Schrittfolgen eines Videos nach. Eine Kontrollgruppe, die stattdessen auf einem Laufband trainierte und dabei Gedächtnis-Übungen durchführte, profitierte nicht so stark wie die Tanz-Gruppe.
Die Ergebnisse und Erfolge des Trainings konnten über den Sensor-Gurt aufgezeichnet und ausgewertet werden. In Zukunft könnte daraus ein gezieltes Training zum Schutz vor Demenz-Erkrankungen entstehen. „Es geht darum, mit einem geeigneten Training frühzeitig einzugreifen, sobald sich erste negative Anzeichen messen lassen“, so Eggenberger. „Mit unserem Sensor-System lassen sich allfällige Verbesserungen der kognitiven Leistung durch bewegungsbasierte Therapieformen verfolgen“, resümiert der Forschungsleiter. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
Autor:
Diplom-Redakteur (FH) Volker Blasek
Quellen:
- P Eggenberger, M Bürgisser, RM Rossi and Simon Annaheim; Body Temperature Is Associated With Cognitive Performance in Older Adults With and Without Mild Cognitive Impairment: A Cross-sectional Analysis; Front. Aging Neurosci. (2021), frontiersin.org
- P Eggenberger, S Annaheim, KA Kündig, RM Rossi, T Münzer and ED de Bruin; Heart Rate Variability Mainly Relates to Cognitive Executive Functions and Improves Through Exergame Training in Older Adults: A Secondary Analysis of a 6-Month Randomized Controlled Trial; Front. Aging Neurosci. (2020), frontiersin.org
- P Eggenberger, M Wolf, M Schumann and ED de Bruin; Exergame and Balance Training Modulate Prefrontal Brain Activity during Walking and Enhance Executive Function in Older Adults; Front. Aging Neurosci. (2016), frontiersin.org
- Empa: Frühwarnsystem für Demenz (veröffentlicht: 03.02.2022), empa.ch
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.
Demenz und Alzheimer: Erstes Frühwarnsystem entwickelt - Heilpraxisnet.de
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