Von Francine Ntoumi, Gründungspräsidentin der Kongolesischen Stiftung für medizinische Forschung in Brazzaville, Republik Kongo, sowie Professorin und Forschungsgruppenleiterin an der Universität Tübingen, Deutschland.
Sicherlich hat man in Deutschland schon von armutsbedingten Krankheiten wie Malaria, Tuberkulose oder Flussblindheit gehört, von denen Hunderte von Millionen Menschen in den ärmsten Regionen der Welt betroffen sind. Doch sind trotz der schrecklichen Auswirkungen dieser Krankheiten die Behandlungsmöglichkeiten meist unzureichend oder gar nicht vorhanden. Diese Krankheiten werden vernachlässigt, weil es keine Profite zu erzielen gibt, die einen Anreiz für herkömmliche Pharmaforschung bieten könnten. Dabei ist die Zahl der betroffenen Menschen erschütternd: Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind jedes Jahr 1,7 Milliarden Menschen von mindestens einer vernachlässigten Krankheit betroffen.
Ich bin Wissenschaftlerin und arbeite daran, die Biologie von Infektionskrankheiten zu verstehen, um effiziente Maßnahmen gegen sie zu entwickeln. Ich arbeite in engem Kontakt mit den Malaria-Pflegekräften in der Republik Kongo, um die neuen Medikamente zu denen zu bringen, die sie brauchen. Weltweit arbeiten auch andere Forscher*innen daran, dasselbe für die zahlreichen, gleichzeitig auftretenden Krankheitsbedrohungen zu tun, die den Teufelskreis der Armut aufrechterhalten. Familien, die von mehreren vernachlässigten Krankheiten betroffen sind und keine Wahl haben, sehen sich nun einer zusätzlichen Bedrohung gegenüber: der Covid-19-Pandemie.
Covid-19 hat zu einer erheblichen Umverteilung der Ressourcen geführt und armutsbedingten Krankheiten wurde weniger Aufmerksamkeit geschenkt: Im Jahr 2020 gingen die weltweiten Mittel für die Forschung zu vernachlässigten Krankheiten gegenüber 2019 um sechs Prozent zurück. Afrikanische Wissenschaftler*innen wie ich werden immer wieder gefragt: "Warum mobilisiert die Welt so viele Kräfte gegen Covid-19, wenn Malaria oder Tuberkulose uns immer noch umbringen oder Wurmerkrankungen unsere Kinder schwächen und Menschen erblinden lassen?”
Als Forscher*innen streben wir danach, mit der Wissenschaft zu einer gesunden Gesellschaft beizutragen. Vor zwanzig Jahren haben wir begonnen, Partnerschaftsmodelle zu entwickeln, um neue, verbesserte Behandlungsmöglichkeiten für vernachlässigte Krankheiten zu schaffen. Diese öffentlich-privaten Partnerschaften für die Entwicklung von Arzneimitteln und Diagnostika (“Product Development Partnerships”, kurz: PDPs) waren zu einem gewissen Grad erfolgreich, mittlerweile wurden 65 Medikamente, Diagnostika und auch Impfstoffe gegen armutsbedingte Krankheiten durch diese Kooperationen entwickelt.
Diese medizinische Forschung orientiert sich am Bedarf der Patient*innen, nicht am Profit. Teams von Nichtregierungsorganisationen, industriellen Akteuren und wissenschaftlichen Instituten in von Krankheiten betroffenen Ländern arbeiten hier zusammen und entwickeln mit finanzieller Unterstützung privater und öffentlicher Geber lebensrettende Medikamente, Tests und Impfstoffe. Deutschland ist zu einem wichtigen Unterstützer von PDPs geworden.
Ein Beispiel für diese erfolgreiche Kooperation ist die Entwicklung eines revolutionären Medikaments namens Fexinidazol gegen die Schlafkrankheit, eine vernachlässigte Bedrohung, an der im vergangenen Jahrhundert Millionen von Menschen in West- und Zentralafrika starben: In Partnerschaft mit einer in Genf ansässigen NGO und einem industriellen Akteur haben Forschende aus der Demokratischen Republik Kongo klinischen Studien nach höchsten internationalen Standards in sehr abgelegenen Gebieten und unter schwierigen Bedingungen durchgeführt. Dank des bahnbrechenden neuen Medikaments – welches teilweise mit deutscher finanzieller Unterstützung entwickelt wurde – kann der Kongo und seine Nachbarländer jetzt die Beseitigung dieser tödlichen Krankheit anstreben.
Auch die Zulassung von Tafenoquin, einer Einzeldosisbehandlung zur Verhinderung von Rückfällen der P. vivax Malaria, die jedes Jahr zwischen 5,9 und 7,1 Millionen klinische Infektionen verursacht, war ein großer Erfolg in der Gesundheitsforschung.
Diese Beispiele zeigen, wie diese Krankheiten bekämpft werden können, wenn es finanzielle Unterstützung und internationale Zusammenarbeit gibt. Doch es bleibt noch viel zu tun.
Tuberkulose ist eine uralte Krankheit, an der jedes Jahr etwa 1,5 Millionen Menschen sterben, obwohl sie oft heil- und vermeidbar ist. Zum Vergleich: Der erste Covid-19-Impfstoff wurde weniger als ein Jahr nach dem Ausbruch auf den Markt gebracht. Doch wenn man sich heute gegen Tuberkulose impfen lassen will, wird ein Impfstoff verwendet, der vor einem Jahrhundert entwickelt wurde – und nur teilweise wirksam ist. Es sind vielversprechende neue Impfstoffkandidaten in den Startlöchern, aber sie können nur mit einer deutlichen Aufstockung der derzeitigen Mittel fertig entwickelt werden.
Deutsche Forschung hat sowohl bei der Entwicklung von Covid-19- als auch von Tuberkulose-Therapien eine Schlüsselrolle gespielt, darunter eine zu 90 Prozent wirksame, sechsmonatige Therapie für hochgradig arzneimittelresistente Tuberkulose. Die Herausforderung besteht jetzt darin, aus diesen wissenschaftlichen Durchbrüchen den größtmöglichen Nutzen zu ziehen, insbesondere wenn viele Millionen Menschenleben in Gefahr sind.
Deutschland hat spätestens 2015 die nötige politische Führungsstärke bewiesen, um vernachlässigte Krankheiten und Menschen nachhaltig zu unterstützen, als es globale Gesundheit auf die Agenda der G7 und G20 gesetzt hat. Doch die derzeitigen Investitionen sind unzureichend. Vernachlässigte, armutsbedingte Krankheiten müssen mit aller Kraft bekämpft werden – genau wie diese Pandemie und andere Katastrophen, die uns auch hier in Deutschland stark betreffen.
Die deutsche G7-Präsidentschaft ist eine Chance, den Kampf gegen vernachlässigte Krankheiten voranzutreiben und die Investitionen in die Forschung und Entwicklung zu erhöhen, um dem dringenden weltweiten Bedarf gerecht zu werden. Diese Chance muss ergriffen werden, sonst sind weiterhin Millionen von Menschenleben gefährdet.
Warum Deutschland beim G7-Gipfel gemeinnützige Gesundheitsforschung unterstützen muss - Global Citizen
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