Forschende des LMU Klinikums München sind maßgeblich an der weltweiten Analyse des Gigastroke-Konsortiums beteiligt.
Die Genomik ist die Analyse des gesamten Erbguts eines Menschen in Hinsicht auf eine bestimmte Fragestellung. Sie ist eine effektive Methode, um einen Überblick zu bekommen, welche Abschnitte (Loci) des menschlichen Erbguts an der Entstehung und am molekularen Geschehen einer bestimmten Erkrankung beteiligt sein könnten – zum Beispiel der Schlaganfall. Forschende des LMU Klinikums München haben jetzt in einer gigantischen internationalen Genomik-Studie, die sie mit weiteren Verfahren kombinierten, herausgefunden: 89 Abschnitte des menschlichen Genoms sind an der Entstehung eines Schlaganfalls beteiligt. Die Ergebnisse weisen neue Wege für die Diagnostik und Therapie des Schlaganfalls und sind jetzt online im Wissenschaftsmagazin Nature veröffentlicht wurden.
Allein in Deutschland erleiden jedes Jahr 260.000 bis 280.000 Menschen einen Schlaganfall – das bedeutet, dass alle zwei bis drei Minuten hierzulande ein solches Ereignis eintritt. Schlaganfälle sind die häufigste Ursache von bleibender Behinderung und weltweit die zweithäufigste Todesursache nach dem Herzinfarkt. Unzählige Lebensjahre gehen Jahr für Jahr durch den Schlaganfall verloren, vor allem in Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen. „Eine globale Perspektive der Schlaganfallforschung ist deshalb unerlässlich“, sagt Prof. Dr Martin Dichgans vom Institut für Schlaganfall- und Demenzforschung des LMU Klinikums München.
In diesem Wissen haben die Expert:innen des weltweiten sogenannten GIGASTROKE-Konsortiums die Blutproben von mehr als zweieinhalb Millionen Menschen untersucht, von denen knapp 200.000 einen Schlaganfall erlitten hatten. Aus allen Blutproben wurde die Erbsubstanz DNA mit den darin codierten gut 20.000 Genen isoliert und mit High-Tech-Methoden der modernen Genomik und der Bioinformatik analysiert. Die Teilnehmenden kamen aus Europa, Ostasien, Afrika, Südasien und Lateinamerika. „Diese Diversität bietet die Chance, um neue genetische Zusammenhänge und ein tiefergehendes Verständnis der biologischen Zusammenhänge beim Schlaganfall zu bekommen“, sagt Prof. Dr. Stephanie Debette vom Universitätskinikum Bordeaux. Die Ärztin und ihr Münchner Kollege Prof. Dr. Dichgans leiten das GIGASTROKE-Konsortium. Maßgeblich beteiligt sind auch die Tokyo University (Japan), die Tartu University (Estland), die Ibadan University (Nigeria), das VA Boston Healthcare System und die Harvard Medical School (USA).
Neue Erkenntnisse auch für Prävention und Therapie
Zunächst analysierten die Forschenden die Genome von 1,6 Millionen Personen (110.000 mit Schlaganfall). In diesem Zuge wurden 89 Abschnitte im Erbgut entdeckt, die an einem Schlaganfall beteiligt sind und die weltweit weitgehend überlappen. 61 dieser Abschnitte waren zuvor noch nicht in Zusammenhang mit Schlaganfall gebracht worden. Jede dieser 89 Stellen im Erbgut enthält verschiedene Gene. Die verdächtigen Regionen analysierten die Wissenschaftler:innen dann nochmals in den DNA-Proben weiterer 1,1 Millionen Personen (89.000 mit Schlaganfall), um ihre Ergebnisse zu bestätigen.
Dann kombinierten die Forschenden die genomischen Daten mit anderen Methoden der Gen- und Proteinforschung, um spezifische Ansatzpunkte (einzelne Gene respektive Proteine) für neue Medikamente auszuloten. Für zwei dieser Ansatzpunkte werden bereits in ersten klinischen Studien neue Wirkstoffe getestet, die in Risikopatient:innen einen Schlaganfall verhindern sollen. Zudem fanden die Forschenden Hinweise, dass bereits existierende Medikamente für andere Erkrankungen auch in der Prävention und Therapie des Schlaganfalls helfen könnten. „Das“, sagt Dichgans, „belegt den klinischen Wert unseres Ansatzes.“
Bessere Vorhersage für individuelles Schlaganfallrisiko
Aus allen gefundenen Risikofaktoren für einen Schlaganfall entwickelten die Wissenschaftler:innen schließlich einen sogenannten polygenischen Score. Dieser Score, so zeigte sich, bildet sehr gut das individuelle Schlaganfall-Risiko für Menschen aus Europa und Ostasien ab. Für einen Score für die afrikanische Bevölkerung waren die vorhandenen Daten noch nicht ausreichend.
Last not least wertete das Team um Martin Dichgans und Stephanie Debette Daten von 52.600 Patient:innen aus fünf klinischen Studien aus – und zeigten, dass die neuen genetischen Risikofaktoren die Wahrscheinlichkeit eines Schlaganfalls viel besser vorhersagen als die traditionellen klinischen Risikofaktoren (Bluthochdruck, Rauchen und so weiter).
„Wann diese Erkenntnisse Einzug in den klinischen Alltag erhalten, ist noch nicht abzusehen“, betont Prof. Dichgans, „die Grundlagen dafür sind aber mit dieser Studie auf jeden Fall geschaffen.“
89 Genregionen für den Schlaganfall - Nachrichten München
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