Künstliche Intelligenz soll die Krebsforschung von Biontech beschleunigen. Welche Rolle Algorithmen für die Entwicklung von maßgeschneiderten Impfstoffen spielen, erklärt Unternehmenschef Sahin im "Stern"-Podcast "Eine neue Medizin - die Biontech-Story".
Es ist die größte Übernahme in der noch jungen Geschichte von Biontech: Für mehr als 400 Millionen Euro kauft der Mainzer Impfstoffhersteller die britische Firma InstaDeep, die im Kerngeschäft künstliche Intelligenz (KI) entwickelt: Programme, die eigenständig Lösungen für Probleme finden, an denen ein gewöhnlicher Computer scheitert.
Die schnellste Impfstoffentwicklung aller Zeiten rettet Millionen Menschen das Leben und kommt von einem bis dahin unbekannten Mainzer Unternehmen. Der Podcast "Eine neue Medizin - die Biontech-Story" erzählt, wie dem Gründer-Ehepaar Uğur Şahin und Özlem Türeci nach drei Jahrzehnten Forschung mit einem mRNA-Impfstoff während der Corona-Pandemie der Durchbruch gelingt und, was sie als Nächstes planen: Therapien gegen HIV, Tuberkulose und Krebs - und vielleicht sogar eine, um das Altern zu stoppen. Jetzt bei RTL+ Musik.
Von künstlicher Intelligenz wurde zuletzt häufig im Zusammenhang mit sogenannten Chatbots berichtet. Mittlerweile gelingt es Programmen wie ChatGPT, selbständig Texte in einer solchen Qualität zu schreiben, dass ein Mensch sie oft nur noch schwer als Werk eines Computers entlarven kann.
Doch KI eignet sich für viele andere Anwendungen, auch medizinische. Denn leistungsfähige Computer sind in der Lage, in großen Datensammlungen Muster zu entdecken und korrekte Schlüsse daraus zu ziehen. Das spielt zum Beispiel bei der automatischen Bilderkennung für selbstfahrende Autos eine entscheidende Rolle. Eine KI kann aber auch bei der Entwicklung neuer Medikamente helfen, indem sie das molekulare Design von Wirkstoffen entwirft - zum Beispiel im Fall von individuellen Impfstoffen gegen Krebs.
Krebs ist ein komplizierter Gegner
Uğur Şahin und Özlem Türeci haben Biontech 2008 gegründet, um eben solche Impfstoffe für die Behandlung von Tumoren zu entwickeln. Schon damals war das Botenmolekül mRNA die Grundlage für diese neuartigen Therapien. Beim Corona-Impfstoff kam die Technologie erstmals im großen Stil zum Einsatz.
Krebszellen sind allerdings ein deutlich komplexerer Gegner als Coronaviren, weil sie sich stark voneinander unterscheiden. Verschiedene Tumorarten in verschiedenen Patienten - die Krebszellen von zwei Erkrankten können sich ähneln, sehen aber nie gleich aus. Daher der naheliegende Gedanke, dass eine Therapie maßgeschneidert sein muss.
Feind im eigenen Körper
Ein wirksamer mRNA-Impfstoff gegen Krebs muss dem Immunsystem beibringen können, was an einer Krebszelle fremd ist und sie somit von einer gesunden Körperzelle unterscheidet. Auf diese Weise soll das Immunsystem lernen, welche Zellen es angreifen muss und welche nicht. Noch ist kein Krebsimpfstoff auf dem Markt, obwohl seit Jahrzehnten daran geforscht wird. Das Vorhaben ist knifflig, weil Krebszellen - anders als Sars-CoV-2, Grippeviren oder auch transplantierte Organe - dem eigenen Körper entstammen und daher den Körperzellen sehr ähnlich sind.
Firmen wie Biontech suchen daher im Erbgut der Krebszellen von Patienten nach Merkmalen, die sie von gesunden Zellen unterscheiden. Das können beispielsweise Gen-Abschnitte bestimmter Proteine auf der Oberfläche von Krebszellen sein. Diese Gensequenzen dienen dann als Grundlage für die mRNA-Impfung.
Jagd auf vielversprechende Merkmale
Ein großes Problem ist allerdings, dass sich nicht alle Unterschiede im Erbgut von Krebszellen und gesunden Zellen als Grundlage für einen Impfstoff eignen. Forscher und Mediziner müssen die passende Mutation auswählen: jene, auf die das Immunsystem später auch anspringt.
An dieser Stelle erhoffen sich Şahin und Türeci entscheidende Unterstützung durch die künstliche Intelligenz. Die KI wird mit Daten aus klinischen Studien und Genomdatenbanken gefüttert und kann dann - so der Plan - mithilfe von Algorithmen die vielversprechendsten Merkmale im Erbgut der Krebszellen erkennen und auswählen. Langwierige Versuche im Labor sollen dadurch wegfallen und wirksame Impfstoffe gegen Krebs, die auf einzelne Patienten zugeschnitten sind, in greifbare Nähe rücken.
Wie bei der Wettervorhersage
Entscheidend sind dafür die passenden Algorithmen, aber auch die Datengrundlage. Je besser und zahlreicher die Daten, desto treffsicherer kann eine KI ihre Vorhersagen treffen. Biontech-Gründer Şahin vergleicht den Ablauf mit einer Wettervorhersage. Die basiere auf ähnlichen Algorithmen wie vor zehn Jahren, erklärt Şahin im "Stern"-Podcast "Eine neue Medizin - die Biontech-Story". "Aber die Datenlage ist so gut und die Rechenkapazität so stark, dass wir heute sehr viel genauer und präziser arbeiten können."
Mit InstaDeep arbeitet die Mainzer Firma schon seit mehreren Jahren zusammen, der Kauf der KI-Schmiede ist ein logischer Schritt. Bis 2030 möchte Biontech bereits mehrere Tausend Menschen mit Krebstherapien aus eigener Entwicklung behandelt haben. "Im Frühstadium können wir Krebserkrankungen besiegen", ist Şahin im Podcast überzeugt. "Unsere Zielsetzung muss sein, dass wir von 60 auf 99 Prozent kommen."
Komplizierter werden ausgedehnte, fortgeschrittene Tumore. Man müsse realistisch sein, sagt der Biontech-Gründer. "Es geht um zweistellige Milliardenzahlen von Tumorzellen, die alle unterschiedlich sind." Hier werde man durch das Zusammenspiel verschiedener Methoden am ehesten dafür sorgen, "dass man den Tumor so lange wie möglich kontrolliert".
Wie Biontech-Chef Sahin den Krebs entschlüsseln will - n-tv NACHRICHTEN
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