Wird ein Baby mit einem Kaiserschnitt geboren, sind viele Eltern verunsichert: Hat mein Kind jetzt etwa sein Leben lang ein schlechteres Immunsystem, weil es bei der Geburt keinen Kontakt zu den wichtigen Darm- und Vaginalbakterien der Mutter hatte? Oder ist es anfälliger für Allergien und Asthma? Diesen Zusammenhang legten verschiedene Studien der vergangenen Jahre nahe.

Eine neue Studie aus den Niederlanden liefert jetzt Hinweise darauf, dass die Sorgen womöglich unbegründet sind: Sowohl Stillen als auch viel Hautkontakt kann demnach den zunächst negativen Effekt des Kaiserschnitts auf das Darmmikrobiom von Säuglingen ausgleichen – und zwar schon innerhalb weniger Wochen.

Hintergrund ist, dass Babys mit einem unreifen Immunsystem auf die Welt kommen. Doch sobald sie die Gebärmutter verlassen, beginnt der Kontakt mit Mikroorganismen und Umweltstoffen und damit der Aufbau des Immunsystems. Schon während sich das Baby seinen Weg durch den Geburtskanal bahnt, kommt es automatisch in Berührung mit den Bakterien aus dem Vaginal- und Darmsekret der Mutter. Diese Bakterien siedeln sich unter anderem im Darm des Neugeborenen an. Sie werden Teil des Mikrobioms, also der unzähligen Mikroorganismen, die den Menschen als Lebensraum nutzen.

Das Mikrobiom ist für die Verdauung essenziell, hilft dabei, das Immunsystem zu entwickeln und zu trainieren und spielt auch bei der Abwehr von Krankheitserreger eine wichtige Rolle – und seine Startbedingungen hängen davon ab, wie Babys auf die Welt kommen: Mehrere Studien zeigen, dass Kaiserschnittkinder eine andere Darmflora haben als Kinder, die vaginal geboren wurden, da ihnen der Kontakt zu den Bakterien aus Vagina und Darm fehlt (etwa Nature: Samuel et al., 2019 oder Nature: Tsaliki & Vervier, 2020).

Fest steht auch, dass die Entwicklung des Darmmikrobioms einen wichtigen Einfluss darauf hat, ob Kinder ein erhöhtes Risiko für bestimmte Erkrankungen wie Allergien, Asthma oder Adipositas haben (Cambridge University Press: Butel et al., 2018).

Jetzt konnte das Forschungsteam aus den Niederlanden allerdings zeigen, dass die Mikroben der Mutter das Baby über mehrere Wege besiedeln – nach der Geburt vor allem über Hautkontakt und Muttermilch (Cell Host & Microbe: Bogaert et al, 2023). Neu an dieser Erkenntnis ist vor allem: Diese verschiedenen Wege ergänzen sich nicht nur, sondern sie wirken auch ausgleichend. Bleibt der Bakterienkontakt während der Geburt wegen eines Kaiserschnitts aus, besiedeln die wichtigen Mikroben das Baby einfach etwas später.

Die Forschenden aus Utrecht analysierten von 120 Mutter-Kind-Paaren Proben aus dem Nasen-Rachen-Raum, dem Speichel, der Muttermilch, der Haut, dem Vaginalsekret und aus dem Stuhl, kurz vor und bis zu einem Monat nach der Geburt.

Bei allen untersuchten Säuglingen stammten 58,5 Prozent der Mikroben von der Mutter – und zwar unabhängig von der Art der Entbindung. Auch wenn die Zusammensetzung der Mikroben nicht identisch war, so hatten doch alle Babys mehr als die Hälfte ihres Mikrobioms aus Bakterien der Mutter erhalten. Daraus schlussfolgerten die Autorinnen und Autoren: Vaginal entbundene Babys erhalten bereits während der Geburt Mikroben, wohingegen Kinder nach einer Kaiserschnittgeburt das zunächst entstandene Defizit durch Muttermilch und Hautkontakt nach und nach ausgleichen. Insgesamt sei man aber noch weit davon entfernt, die Entwicklung des Mikrobioms von Kindern zu verstehen, schreiben die Autoren.

Experten aus Deutschland und Österreich, die das Science Media Center befragt hat, sehen in der Studie wichtige neue Erkenntnisse. "Eltern von Kaiserschnittkindern fragen sich häufig, ob sie für das Kind etwas tun können, um ihm und seinem Mikrobiom zu helfen", sagt etwa Christoph Härtel, Direktor der Kinderklinik und Poliklinik am Universitätsklinikum Würzburg. Die Studie liefere eine erste positive Nachricht, dass viel Kuscheln und viel Stillen das fehlende erste Mikrobiom des Geburtskanals kompensieren kann.

"Wir wissen, dass sich in den letzten vier Wochen vor der Geburt das Mikrobiom der Mutter im Geburtskanal verändert, um dem Kind bei der Geburt den bestmöglichen Boost an 'guten' Bakterien zu verpassen", sagt Härtel. Dies sei sozusagen die erste physiologische Saat eines komplexen Ökosystems Mikrobiom. "Wenn diese erste Saat fehlt, dann besiedelt sich das Kind erst einmal anders, eher mit Hautbakterien der Mutter", erklärt Härtel.

Für Bernhard Resch ist es sehr plausibel, dass der Mikrobentransfer zwischen Mutter und Kind auf mehreren Wegen stattfindet. Resch ist stellvertretender Leiter der klinischen Abteilung für Neonatologie und Forschungseinheit für neonatale Infektionserkrankungen und Epidemiologie an der Medizinischen Universität Graz. "Es ist immer wieder faszinierend, was die Evolution sich so alles gedacht oder gemacht hat, was wir nach Jahrtausenden langsam erforschen und zu begreifen beginnen", sagt Resch.

Da bislang davon ausgegangen wurde, dass Kaiserschnittkinder ein deutlich ärmeres Darmmikrobiom haben als Kinder, die vaginal geboren wurde, wurde in den vergangenen Jahren eine Methode diskutiert, um diesen Kindern zu helfen: das sogenannte Vaginal Seeding. Dabei wird dem Baby nach der Geburt mit einem Tuch über Mund und Nase gestrichen, das zuvor mit Vaginalsekret versehen wurde. Dadurch soll das Kind nachträglich die nötigen Mikroorganismen erhalten.

Eine Methode, die nach neuesten Erkenntnissen also hinfällig sein könnte. Es sei sowieso nicht bewiesen, dass Vaginal Seeding überhaupt einen langfristigen positiven Effekt habe, sagt Christoph Härtel. Deshalb würde diese Praxis bislang auch noch nicht von Fachgesellschaften empfohlen.

Man kann das Mikrobiom sowieso nicht isoliert betrachten, sondern muss es immer als Teil eines komplexen interaktiven Systems denken.
Christoph Härtel

Insgesamt liefert die Studie wichtige neue Hinweise darauf, dass sich der Aufbau des Darmmikrobioms von Babys auch nach einem Kaiserschnitt vergleichbar entwickeln kann wie nach einer vaginalen Geburt – vorausgesetzt es wird viel gekuschelt und gestillt. Was aus den Untersuchungen noch nicht klar wird: Ob die spätere Bakterienbesiedlung auch das Risiko der Krankheiten verringert, die bislang mit einem Kaiserschnitt assoziiert wurden, also etwa Asthma. "Man kann das Mikrobiom sowieso nicht isoliert betrachten, sondern muss es immer als Teil eines komplexen interaktiven Systems denken", sagt Christoph Härtel.

Die Debatte über die Rolle eines Kaiserschnitts bei der Entwicklung des Mikrobioms ist mit den neuen Erkenntnissen zwar längst nicht vorbei. Aber nachdem in den letzten Jahren gleich mehrere Studien Hinweise lieferten, dass der Kaiserschnitt die Risiken für Asthma oder Allergien erhöhen kann, gibt es nun auch einen anderen Blick – und der dürfte viele Eltern aufatmen lassen, die eigentlich keinen Kaiserschnitt wollten, aber keine Wahl hatten.