Die Idee der Hyperthermie ist über 100 Jahre alt: Temperaturen im Bereich von hohem Fieber sollen Krebszellen Stress aussetzen und wie bei einer Infektion das körpereigene Immunsystem zur Abwehr anregen.
Mittlerweile existieren verschiedenste Verfahren mit erheblichen Unterschieden: vor allem darin, wie die Temperatur erhöht wird und wie ausgedehnt der überwärmte Bereich ist. Zahlreiche Ansätze gelten als Methoden unbewiesener Wirksamkeit. Regionale Hyperthermie-Verfahren können bei besonderer Tumorlokalisation in Kombination mit einer Strahlen- oder Chemotherapie einen Nutzen bringen. Aber auch hier ist die Evidenz begrenzt: Oft reicht die derzeitige Studienlage noch nicht für eine Empfehlung in den Leitlinien aus.
Aktive Hyperthermie: Fiebertherapie
Die Fiebertherapie ist der ursprünglichste Ansatz. Eine künstliche Infektion mit fiebererzeugenden (pyrogenen) Stoffen regt dabei den gesamten Körper zur Temperaturerhöhung an. Daher spricht man auch von aktiver Hyperthermie. Das künstlich ausgelöste Fieber soll die körpereigene Immunantwort gegen Krebszellen verstärken.
Als fiebererzeugende Stoffe dienen Bakterien- und/oder Mistelextrakte. Meist direkt in die Vene injiziert, lösen diese Pyrogene eine systemische Entzündungsreaktion aus, die schlecht steuerbar ist. Daher warnen die Krebsgesellschaften einiger Bundesländer sogar in ihren Broschüren zur Komplementärmedizin1: "Fiebertherapien sind als gesundheitsgefährdend abzulehnen und sollten bei Krebserkrankungen auf keinen Fall angewendet werden."
Zudem gibt es bisher keine beweiskräftigen Studien, die eine Wirksamkeit der Fiebertherapie gegen Krebs belegen.
Passive Hyperthermie: Überwärmung von außen
Erfolgt die Überwärmung anders als bei der Fiebertherapie von außen, spricht man von passiver Hyperthermie. Dabei bestimmt die Lokalisation des Tumors die Zugangswege und somit das einsetzbare Verfahren.
Je nach Lage des Tumors erfolgt die Überwärmung oberflächlich oder mithilfe von Sonden über Radio-, Mikrowellen oder Ultraschall. An Bedeutung gewinnt der Einsatz von heißer Chemotherapie-Lösung zur Überwärmung. Die Lösung wird entweder in einen separierten Blutkreislauf betroffener Extremitäten geleitet oder zur Spülung von Körperhöhlen verwendet.
Ganzkörperhyperthermie: Eine Überwärmung des gesamten Körpers durch verschiedene Verfahren bezeichnet man als Ganzkörperhyperthermie. Ihre Wirksamkeit gegen Krebs ist nicht belegt. Auch zum begleitenden (supportiven) Einsatz der Ganzkörperhyperthermie gibt es keine positiven Studienergebnisse. Daher wird die Ganzkörperhyperthermie grundsätzlich als Methode mit unbewiesener Wirksamkeit eingestuft.
Lokale oder Oberflächenhyperthermie: Daneben existieren verschiedene Verfahren, bei denen nur einzelne Körperregionen überwärmt werden. Erfolgt die Überwärmung von außen, spricht man von lokaler oder Oberflächenhyperthermie. Sie wird nur in Kombination mit einer Strahlen- oder seltener auch Chemotherapie durchgeführt.
Regionale oder Tiefenhyperthermie: Um Tumoren und Metastasen in tiefer liegenden Körperregionen zu überwärmen, wird die regionale (Tiefen-) Hyperthermie eingesetzt. Eine Möglichkeit ist, die Temperatur durch elektromagnetische Wellen zusätzlich zu einer begleitenden Chemotherapie zu erhöhen.
Weitere Verfahren nutzen die direkt auf 42°C erwärmte Chemotherapie-Lösung zum Spülen von Körperhöhlen. Das geschieht in der Regel im Anschluss an eine möglichst komplette chirurgische Zytoreduktion (Verringerung der Tumorlast) noch während der Operation. Die Vorteile dieses Verfahrens:
- Durch die lokale Anwendung können höhere Konzentrationen des Chemotherapeutikums eingesetzt werden.
- Außerdem verstärkt Wärme die Zytotoxizität einzelner Chemotherapien.
- Weiterhin geht man davon aus, dass die Überwärmung das Gefäßsystem des Tumors erweitert und besser zugänglich macht.
Regionale Hyperthermie-Verfahren: Das sagen die Leitlinien
Tiefenhyperthermie:
- Beim adulten Weichteilsarkom des Beckens, des Abdomens oder der Extremitäten sollte/kann eine neoadjuvante Chemotherapie mit einer regionalen Hyperthermie kombiniert werden (evidenzbasierte Empfehlung)2. Da das Verfahren nur eingeschränkt verfügbar ist, konnte kein Konsens für eine reine "Sollte"-Empfehlung erzielt werden.
- Dabei wird die regionale Hyperthermie durch elektromagnetische Wellen erreicht.
Isolierte Extremitätenperfusion (ILP):
- Beim adulten Weichteilsarkom2 sowie beim malignen Melanom3 ist die ILP als Option zu überprüfen, um bei lokalem Krankheitsfortschritt in Armen oder Beinen unter Umständen eine Amputation verhindern zu können (Expertenkonsens).
- In betroffenen Extremitäten wird der Blutkreislauf separiert und mild erwärmt sowie eine Chemotherapie (Melphalan) und rekombinanter humaner Tumornekrosefaktor-alpha eingeleitet.
Hypertherme intrathorakale Chemotherapie (HITOC oder HITHOC):
- bei malignem Befall des Brustfells (Pleuramesotheliom, sekundärer Befall beim Thymom und Thymuskarzinom) als Option aufgeführt (S1-Leitlinie HITOC4)
- intraoperative Spülung des Thorax mit erwärmter Chemotherapie
Hypertherme intraperitoneale Chemotherapie (HIPEC):
- Möglich bei einem begrenzten Befall des Bauchfells (Peritonealkarzinose), wie er meist sekundär bei fortgeschrittenen im Bauchraum gelegenen Tumoren (kolorektalem Karzinom, Magen-, Pankreas-, Ovarial- oder Appendixkarzinom) auftritt.
- intraoperative Spülung des Peritoneums mit erwärmter Chemotherapie
- Klare Empfehlungen für die Durchführung einer HIPEC gibt es in den deutschen S3-Leitinien bisher noch nicht.
- Bei limitierter Peritonealkarzinose infolge eines Magenkarzinoms gibt die Datenlage Hinweise auf eine mögliche Prognoseverbesserung durch HIPEC. Die Durchführung ist jedoch nur innerhalb von Studien empfohlen (Expertenkonsens)5.
Welche Kriterien müssen evidenzbasierte Hyperthermie-Verfahren erfüllen?
Für die genannten regionalen Hyperthermie-Verfahren gibt es in einzelnen lokal begrenzt fortgeschrittenen Krankheitssituationen Hinweise auf einen Nutzen. Aber auch hier sind weitere Studien notwendig. Die aktuelle S3-Leitlinie "Komplementärmedizin in der Behandlung von onkologischen PatientInnen" gibt folgende Kriterien für in der wissenschaftlichen Medizin angewandte Hyperthermie-Verfahren an6:
- den genauen Temperaturnachweis im oder am Tumorgewebe. Für nachweisbare onkologische Effekte muss hier eine Temperatur von 42°C erreicht werden. In einzelnen Therapie-Protokollen gibt es zu Zieltemperatur, Dauer und Wiederholung umfassendere Angaben.
- Außerdem ist eine Kombination mit einer Strahlen- oder Chemotherapie notwendig.
Fazit
Bestimmte Hyperthermieverfahren werden vor allem von komplementär- und alternativmedizinischen Anbietern angewendet. Das gilt für die Ganzkörperhyperthermie oder auch Verfahren ohne begleitende Chemo- oder Strahlentherapie.
Andere Methoden werden in der wissenschaftlich orientierten Medizin intensiv beforscht und im klinischen Alltag bereits eingesetzt. Dennoch besteht bisher meist keine eindeutige Evidenz: Weitere Studien sind notwendig, um einen klaren Nutzen der Hyperthermie zu zeigen. Dies könnte sich dann in Zukunft in eindeutigen Leitlinien-Empfehlungen widerspiegeln.
Zum Weiterlesen: Verwendete Quellen und vertiefende Informationen
Leitlinien und Empfehlungen von Fachgesellschaften
1 Warnung zur Fiebertherapie zum Beispiel in der Broschüre Komplementärmedizin bei Krebserkrankungen der Krebsgesellschaft Nordrhein-Westfalen, Stand 8/2022 (abgerufen am 05.04.2023).
2 Zwei regionale Hyperthermie-Verfahren in der S3-Leitlinie Adulte Weichgewebesarkome, Langversion 1.1, Juni 2022, AWMF-Registernummer 032/004OL (abgerufen am 05.04.2023).
3 Zur Isolierten Extremitätenperfusion (ILP) in der S3-Leitlinie Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Melanoms, Langversion 3.3, Juli 2020, AWMF-Registernummer: 032/024OL (abgerufen am 05.04.2023).
4 S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Thoraxchirurgie Anwendung der hyperthermen intrathorakalen Chemotherapie (HITOC), Version 1, 2019, AWMF-Registernummer: 010/009 (abgerufen am 05.04.2023).
5 Die Studienlage zur HIPEC wird aufgeschlüsselt in der S3-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Adenokarzinome des Magens und ösophagogastralen Übergangs, Langversion 2.0, August 2019, AWMF-Registernummer: 032/009OL (abgerufen am 05.04.2023).
6 Kriterien evidenzbasierter Hyperthermieverfahren finden sich in der S3-Leitlinie Komplementärmedizin in der Behandlung von onkologischen PatientInnen, Langversion 1.1, September 2021, AWMF-Registernummer: 032/055OL (abgerufen am 05.04.2023).
Empfehlungen zur Hyperthermie der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie (AGO) in Diagnostik und Therapie früher und fortgeschrittener Mammakarzinome (PDF), Version 2022.1 (abgerufen am 05.04.2023).
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