Ob pochende Zahnschmerzen nach der Wurzelbehandlung oder ein brennender Hals während einer Erkältung: Einige Schmerzen sind hartnäckig und lassen manchmal selbst mit Tabletten kaum nach. Doch es gibt einen Trick, den viele wahrscheinlich schon im Kindesalter herausgefunden haben: Ablenkung. Wenn wir uns mit Fernsehserien, Kreuzworträtseln, Podcasts etc. ablenken, lindert das unser Schmerzempfinden häufig schon deutlich. Videospiele nehmen hierbei eine besondere Rolle ein.
Videospiele lenken besser ab als Fernsehen
Dass Videospiele sich hervorragend zur Ablenkung von Schmerzen eignen, zeigt unter anderem ein Experiment von Eleanor Jameson und ihren Kollegen von der Dunedin School of Medicine in Neuseeland. Sie baten 60 Teilnehmer, ihre Hand so lange in zwei Grad kaltes Wasser zu tauchen, wie sie es ertragen konnten. Und zwar einmal ohne jede Ablenkung, einmal mit aktiver Ablenkung in Form eines einhändig spielbaren Games auf der Nintendo Wii und einmal mit Fernsehen als passiver Ablenkung.
Das Ergebnis: „Die Teilnehmer hatten bei aktiver Ablenkung mehr Freude, weniger Angst und eine größere Schmerzreduzierung als bei passiver Ablenkung“, berichten die Wissenschaftler. Erklären lässt sich dieser Effekt wahrscheinlich damit, dass das aktive Spielen eines Videospiels mehr Aufmerksamkeit erfordert als das passive Schauen einer Serie. „Je mehr Aufmerksamkeit der Ablenkung gewidmet wird, desto weniger Zeit bleibt für die Schmerzwahrnehmung, was zu einer stärkeren Schmerzreduzierung führen könnte“, erklären auch Mona Sajeev von der School of Women’s and Children’s Health in Sydney und ihr Team.
Ein Joystick gegen den Piecks
Der schmerzlindernde Effekt von Videospielen lässt sich in vielen verschiedenen Situationen beobachten. Was Kinder angeht, so ist bisher unter anderem nachgewiesen, dass sie zahlreiche medizinische Verfahren, einschließlich chirurgischer und zahnärztlicher Eingriffe, Impfungen, Blutabnahmen und Wundversorgung, als weniger schmerzhaft empfinden, wenn sie dabei Videospiele spielen dürfen.
Eine Studie mit Kindern im Alter zwischen drei und sechs Jahren hat zum Beispiel ergeben, dass fast 80 Prozent derjenigen, die während der Blutabnahme spielen durften, nur geringe Schmerzen empfanden. Bei jenen Kindern, die sich nicht mit Videospielen ablenken durften, gaben sieben von zehn an, starke Schmerzen gespürt zu haben.
Gaming als Schmerzmittel-Ersatz
Doch Videospiele entfalten ihr volles Potenzial nicht nur im Bereich geringer, kurzzeitiger Schmerzen, wie sie etwa eine Grippeimpfung erzeugt. Auch Menschen mit extremen Schmerzen profitieren vom Gaming. Das gilt zum Beispiel für krebskranke Kinder, die an einer Mukositis leiden. Diese Entzündung der Schleimhäute ist eine häufige Nebenwirkung der Chemotherapie und ruft teilweise so starke Schmerzen hervor, dass die Einnahme von Morphium unumgänglich ist.
Doch das starke Opiat hat Nebenwirkungen, wozu etwa Übelkeit, Erbrechen und Juckreiz zählen. Die Wissenschaft ist deshalb schon länger auf der Suche nach einer alternativen Schmerztherapie. Ein Team um Mario Alonso Puig von der spanischen Juegaterapia-Stiftung hat es nun erfolgreich mit Videospielen probiert. Die Kinder in der Studie durften bis zu drei Stunden täglich auf der PlayStation Vita spielen. Zur Auswahl standen Plattform-, Sport-, Rätsel- und Strategiespiele.
Das Ergebnis: Die Kinder nahmen ihre Schmerzen fast ein Drittel weniger stark wahr, wie Puig und seine Kollegen berichten. Das hatte zur Folge, dass sie an Gaming-Tagen ein Fünftel weniger Morphium brauchten als an Tagen, an denen sie sich nicht mit Videospielen ablenkten. Damit gingen auch die Nebenwirkungen der Schmerzmittel zurück, was den Kindern eine höhere Lebensqualität ermöglichte.
Virtuelle Winterlandschaft lindert Verbrennungen
Auch bei schmerzhaften Verbrennungen haben sich Videospiele bereits als hilfreich erwiesen. Da die Schmerzen von Brandopfern während des Verbandwechsels am stärksten sind, setzt das Videospiel „SnowWorld“ genau dort an und hat zum Ziel, die Prozedur möglichst angenehm zu gestalten. Der Spieler setzt dafür eine Virtual Reality-Brille auf und findet sich in einer eisigen Winterlandschaft wieder. Dort muss er mit Schneebällen auf Schneemänner, Pinguine und Mammuts werfen.
„Das Spiel hat zwei positive Effekte: Es vermittelt das Gefühl von Kälte und Eis – das wirkt auf die Patienten sehr beruhigend. Außerdem sind sie durch das Schneeballwerfen abgelenkt und konzentrieren sich weniger auf den Schmerz“, erklärt Linda Breitlauch, Professorin für Game-Design an der Hochschule Trier im Interview. Laut einer klinischen Studie konnte das Spiel das Schmerzempfinden der Patienten um 30 bis 50 Prozent verringern.
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