Menschen mit ADHS haben Konzentrationsschwierigkeiten, doch sie haben zum Teil auch die Fähigkeit, sich intensiv mit einer Aufgabe zu beschäftigen und dabei die Außenwelt komplett zu vergessen. Erfahre Interessantes über diesen Zustand.
Neurodiverse Personen und Menschen mit AD(H)S erleben oft einen Zustand starker Konzentration, in dem sie sich intensiv und ausdauernd einer Aufgabe widmen, ohne sich ablenken zu lassen. Betroffene haben zwar in der Regel Konzentrationsprobleme, doch wenn sie in diesen Flow-Zustand kommen und motiviert sind, können sie ihre Aufmerksamkeit in konzentrierter Form auf ein Thema richten. Dieser Hyperfokus bedeutet, dass jemand völlig in einer Sache aufgeht und alles andere vergisst.
In manchen Situationen kann das positiv sein, in anderen allerdings ist diese übertriebene Fokussierung besorgniserregend. Erfahre anschließend Wissenswertes über dieses Thema.
Viele Eltern beklagen sich darüber, dass ihre Kinder mit ADHS stundenlang Videospiele spielen können, was ein hohes Maß an Aufmerksamkeit erfordert, das jedoch bei anderen Aufgaben fast nicht vorhanden ist.
Hyperfokus: Was ist das?
Ein in der Zeitschrift Psychological Research veröffentlichter Artikel hebt hervor, dass das Hyperfokussieren bisher kaum wissenschaftlich untersucht wurde. Es ist bekannt, dass dieser Zustand bei Personen mit AD(H)S besonders häufig vorkommt, doch auch neurotypische Personen können daran leiden.
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In ihrem Buch Adventures in fast forward: Life, Love, and Work for the ADD Adult¹ beschreibt Kathleen G. Nadeu den realen Fall einer Frau, die so sehr auf das Schreiben einer Hausarbeit konzentriert war, dass sie nicht bemerkte, dass ihr Haus brannte und die Feuerwehr versuchte, sie zu retten.
Der Grad der kognitiven Absorption, den Menschen im Hyperfokus erreichen, ist so hoch, dass alle Zusammenhänge um sie herum aufhören zu existieren. Dieser Zustand ist noch intensiver als der von Mihaly Csikszentmihalyi beschriebene Flow.
Die wichtigsten Merkmale des Hyperfokus sind:
- Selektiver Prozess. Dieser Zustand tritt nur bei Aufgaben oder Aktivitäten auf, die für die Person motivierend sind.
- Isolation. Die intensive Konzentration koppelt die Person vollständig von ihrer Umgebung ab, sodass es zu Unfällen kommen kann.
- Imaginativer Geist. Diese Art der Konzentration beinhaltet ebenfalls intensive und ausgefeilte imaginative Prozesse, die Betroffene vollständig von der unmittelbaren Realität abtrennen.
- Visualisierung. Menschen mit ADHS können sich Aufgaben, Aktivitäten und Konzepte auf eine klare und bereichernde Weise vorstellen, vorausgesetzt, dass das Thema motivierend ist.
- Soziale Interaktion. Das Hyperfokussieren kann auch im Umgang mit anderen Menschen auftreten. Sich auf interessante Gespräche einzulassen, kann lohnend sein und erfordert Aufmerksamkeit.
- Kreativität. Wie aus einer Veröffentlichung in der Zeitschrift Personality and Individual Differences hervorgeht, ist die Kreativität ein wesentliches Merkmal von Menschen mit ADHS. Möglicherweise gibt es hier einen Zusammenhang zur Hyperfokussierung.
- Hyperfokus und geistige Flexibilität. Die Flexibilität öffnet neue Perspektiven und erleichtert das Lösen komplexer Probleme.
- Impulsivität. Beim Hyperfokussieren kann die betroffene Person ihre Impulse regulieren, da sie sich intensiv in eine Aufgabe vertieft, die ihr Spaß macht.
Das größte Problem für hyperfokussierende Personen ist ihr schlechtes Zeitmanagement. Da sie nicht in der Lage sind, ihre Aufmerksamkeit von der Aufgabe, die sie motiviert, abzuwenden, vernachlässigen sie oft andere wichtige Aktivitäten.
Hyperfokus: Welche Personen leiden daran?
Eine in Research in Developmental Disabilities veröffentlichte Studie weist darauf hin, dass der Hyperfokus zwar bei Menschen mit ADHS in höherem Maße auftritt, aber auch andere Personen daran leiden. Es gibt Hinweise darauf, dass dieser Zustand in folgenden Fällen auftreten kann:
- Patienten mit Schizophrenie,
- Menschen ohne Neurodivergenz,
- Personen mit Autismus.
Positive und negative Auswirkungen
Der Hyperfokus wird oft als eine außergewöhnliche Superkraft von Menschen mit ADHS betrachtet. Es ist offensichtlich, dass diese kognitive Besonderheit ein Vorteil ist, solange sich jemand auf eine Aufgabe vertieft, die motivierend ist und Spaß macht.
In der Schule und im Arbeitsleben müssen wir jedoch auch in der Lage sein, Leistung bei Tätigkeiten zu erbringen, die nicht unbedingt motivierend sind. Hyperfokussierende Personen können deshalb bei manchen Aufgaben hervorragende Leistungen erbringen, bei anderen jedoch ineffektiv sein. Außerdem können sie sich auf Tätigkeiten fokussieren, die ihnen selbst schaden.
Vorteile
Wenn eine Person im Bereich des Studiums oder der Arbeit motiviert ist, sind die Ergebnisse positiv. Sie kann außergewöhnliche Leistungen erbringen und sehr talentiert sein. Zu den Vorteilen gehören deshalb folgende:
- Betroffene erleben affektive Beziehungen sehr intensiv.
- Sie können durch die Hyperfokussierung ihr Selbstwertgefühl verbessern.
- Sie sind in bestimmten Bereichen kreativ, kompetent und innovativ.
Nachteile
Ein in Frontiers in Psychiatry veröffentlichter Bericht macht deutlich, dass der Hyperfokus manchmal zur Internet- und Bildschirmabhängigkeit führen kann. Die hohe Stimulation durch Technologie und soziale Netzwerke kann Betroffene abhängig machen. Darüber hinaus können auch folgende Nachteile beobachtet werden:
- Der hyperfokussierte Geist verliert die Zeit aus den Augen.
- Wenn sich eine Person in eine bestimmte Aufgabe vertieft, vernachlässigt sie oft andere Verpflichtungen.
- Häufig entstehen durch das Hyperfokussieren unregelmäßige Lebensgewohnheiten und in der Folge Schlafstörungen.
- Auch Selbstkritik und Leid sind häufige Folgen, da sich Betroffene nicht auf weniger interessante Bereiche konzentrieren können.
Hyperfokus: Was tun?
Wie wir gesehen haben, können sich hyperfokussierende Personen intensiv auf bestimmte Aufgaben konzentrieren, in anderen Situationen jedoch keine Aufmerksamkeit erreichen. Berücksichtige Folgendes, um diese Situation besser zu managen:
- Versuche, aus deiner Leidenschaft einen Beruf zu machen. Du solltest wissen, was dich motiviert, auf welche Aufgaben du dich konzentrieren kannst und dich, wenn möglich, in diesem Bereich akademisch und beruflich weiterentwickeln.
- Versuche, gesunde Reize zu finden, die dich motivieren, um eine Abhängigkeit (z. B. von Handy & Co.) zu vermeiden.
- Setze dir Zeitlimits. Wenn du hyperfokussierst, solltest du dir unter anderem durch Handy-Alarm zeitliche Grenzen setzen und diese einhalten. Plane die Zeit, die du für eine Aufgabe investieren möchtest. Achte ebenfalls auf regelmäßige Wach-Schlaf-Zeiten.
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Neurodivergenz und die Notwendigkeit, ihre Besonderheiten sichtbar zu machen
In unserer Gesellschaft gibt es viele Menschen, die ganz unterschiedliche Formen neurologischer Funktionen aufweisen. ADHS und Autismus sind zwei Beispiele für diese große Gruppe. Das Entscheidende in diesen Fällen ist, Stigmata zu brechen, und um das zu erreichen, gibt es nichts Besseres als Psychoedukation, die interessante Informationen über diese Erkrankungen sichtbar macht.
Diese Störungen haben bestimmte Vorteile und Nachteile, die überwunden werden können. Mit Unterstützung und Ressourcen ist es möglich, weit zu kommen und das Talent zu zeigen, das in jeder Einzelperson steckt.
▶ Lese-Tipp
- Adventures In Fast Forward: Life, Love, and Work for the ADD Adult, Kathleen G. Nadeu, Routledge 1996
Alle zitierten Quellen wurden von unserem Team gründlich geprüft, um deren Qualität, Verlässlichkeit, Aktualität und Gültigkeit zu gewährleisten. Die Bibliographie dieses Artikels wurde als zuverlässig und akademisch oder wissenschaftlich präzise angesehen.
- Ashinoff, B. K., & Abu-Akel, A. (2021). Hyperfocus: the forgotten frontier of attention. Psychological Research, 85(1), 1–19. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7851038/
- Groen, Y., Priegnitz, U., Fuermaier, A. B. M., Tucha, L., Tucha, O., Aschenbrenner, S., Weisbrod, M., & Garcia Pimenta, M. (2020). Testing the relation between ADHD and hyperfocus experiences. Research in Developmental Disabilities, 107, 103789. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33126147/
- Ishii, S., Takagi, S., Kobayashi, N., Jitoku, D., Sugihara, G., & Takahashi, H. (2023). Hyperfocus symptom and internet addiction in individuals with attention-deficit/hyperactivity disorder trait. Frontiers in Psychiatry, 14, 1127777. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/37009127/
- Nadeu, K. G. (1996). Brunner-Routledge.
- White, H. A., & Shah, P. (2006). Uninhibited imaginations: Creativity in adults with Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder. Personality and Individual Differences, 40(6), 1121–1131. https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0191886905003764?via%3Dihub
Hyperfokus bei AD(H)S: Was du wissen solltest - Gedankenwelt
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