Hilfeschreie dringen aus den Zimmern, Pfleger Nicholas muss eingreifen. Eine Patientin bekommt keine Luft mehr.
Nicholas Otieno, Krankenpfleger:
»Die Patientin hat sich beschwert, dass ihre Sauerstoffzufuhr nicht ausreicht, sie hatte Erstickungsangst. Also habe ich es von 12 auf 15 Liter pro Minute erhöht.«
Doch das Personal schafft es nicht, alle hilferufenden Patienten schnell zu versorgen. Denn seit sich die Delta-Variante des Coronavirus im Westen Kenias ausbreitet, kommt hier ein Pfleger auf sieben Patienten. Die Intensivstation in Kisumu ist überlastet, Kranke müssen weggeschickt werden, das Personal ist am Limit. Etwa jeder dritte Patient überlebt den Aufenthalt auf der Intensivstation nicht.
Nicholas Otieno, Krankenpfleger:
»Als Krankenpfleger ist das frustrierend, wenn so viele Patienten, um die man sich kümmert, sterben. Wir machen uns so viel Arbeit, aber es hat keine Auswirkungen, weil trotzdem viele sterben. Es gibt keine Medikamente dagegen, das macht mir Angst. Es ist wie auf einen Kampf ohne Waffen zu warten.«
Gerade haben sie wieder einen Patienten verloren, die Liege mit dem Körper wird zur Seite gestellt, das Bett sofort wieder vorbereitet. Denn der Tod des einen bedeutet: Ein freies Bett für einen anderen. Schon wird eine Frau hereingebracht, die kaum noch atmen kann. Doch es fehlt oft an den nötigen Geräten.
George Rae, Direktor Jaramogi Krankenhaus Kisumu:
»Wir brauchen in Afrika dringend Sauerstoffgeräte, doch die sind sehr teuer. In der jetzigen Situation brauchen wir sie umsonst, wir können sie uns nicht leisten. Dabei sind es lebensrettende Geräte. Wir verlieren dadurch Leben, die eigentlich gerettet werden könnten.«
Die Delta-Variante wütet im Westen Kenias, bestimmt das Infektionsgeschehen. Und es gibt ein weiteres Problem:
Gregory Ganda, Leiter Gesundheitsbehörde Kisumu County:
»Die Pandemie verlagert sich jetzt in Richtung Dörfer, das war bei den vorherigen Virusvarianten anders. Dabei dachten wir, dass die durch das Leben an der frischen Luft geschützt sind. Aber diese Delta-Variante lehrt uns eines Besseren. Sie verwüstet alle Orte.«
Jennifer Owiti betet am Grab ihrer zehn Jahre jüngeren Schwester. Vor zwei Tagen hat sie sie begraben. Ob sie tatsächlich Covid hatte, weiß sie nicht. Aber am Ende habe sie kaum noch Luft bekommen.
Jennifer Owiti:
»Am Sonntag ging es los, wir waren in der Kirche. Dann fühlte sie sich unwohl. Sechs Tage später war es unerträglich, wir haben sie in eine Klinik gebracht. Sie ist noch am selben Tag gestorben.«
In ihrem Heimatdorf Dorf Nyahera hat die neue Welle besonders stark gewütet.
Hellen Ondu hat vor kurzem ihre Schwiegermutter an Covid verloren. Das Sterben sei fast normal geworden, sagt sie. 50 Beerdigungen habe es im kleinen Dorf in den vergangenen Wochen gegeben.
Hellen Ondu:
»Selbst als HIV hier ankam, hat es nicht so viele Leute so schnell getötet. HIV kann man immerhin behandeln, wenn man Medikamente nimmt. Aber Covid lässt dich ersticken und in kürzester Zeit bist du tot. Ich kann sagen, dass es die gefährlichste Krankheit ist, die ich hier je gesehen habe.«
Das merken sie auch hier, im einzigen Sauerstoff-Werk der Gegend. Die Maschinen laufen jetzt 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Gerade kommt wieder ein Krankenwagen, holt Nachschub für eine Klinik. Eine große Flasche Sauerstoff reicht für einen kritischen Patienten gerade einmal eine Stunde.
Robert Aliwa, Krankenwagenfahrer:
»Vor Covid sind wir hier zwei Mal am Tag hergekommen. In der jetzigen Welle fahre ich sechs Mal hierher. Wir fahren auch nachts, um Sauerstoff abzuholen. Wir arbeiten 24 Stunden durch.«
Viele Angehörige bekommen keinen Platz im Krankenhaus und müssen selbst eine Beatmung organisieren.
David Mwendwa, Manager Sauerstofffabrik:
»Ich bekomme so viele Anrufe von Leuten, die ihre Angehörigen zuhause versorgen müssen. Sie fragen nach Druckreglern und Sauerstoffzylindern. Aber Zylinder aufzutreiben ist derzeit die größte Herausforderung. Wenn man ihnen nicht sofort etwas liefert, sterben sie innerhalb weniger Minuten.«
Zurück zur Covid-Intensivstation in Kisumu. Hier gibt es manchmal auch Lichtblicke: Ein Patient hat sich nach Wochen der Beatmung erholt, bald kann er wohl entlassen werden. Er warnt eindringlich, die Delta-Variante ernst zu nehmen.
Patient:
»Es ist ernst, diese Variante ist wirklich ernst. Niemand sollte sie auf die leichte Schulter nehmen. Mein Leben hing von den Geräten ab. Wenn du wissen willst, wie ernst es ist, dann mach das mal durch.«
Delta-Welle überrollt Kenia: »Es ist wie auf einen Kampf ohne Waffen zu warten« - DER SPIEGEL
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