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Tuesday, July 6, 2021

Verjüngung für das Gehirn? - wissenschaft.de

In der frühen Kindheit bilden sich im Gehirn sehr leicht neue Verknüpfungen. Mit zunehmendem Alter schwindet diese hohe neuronale Plastizität zugunsten langfristiger Erinnerungen, die durch sogenannte perineuronale Netze stabilisiert werden. An Mäusen haben Forscher nun einen Weg gefunden, die neuronale Plastizität wiederherzustellen: Dazu behandelten sie die Tiere entweder wiederholt mit dem Anästhetikum Ketamin oder mit flimmerndem Licht, das die Hirnwellen beeinflusst. Der Ansatz könnte womöglich zu Strategien führen, um posttraumatische Belastungsstörungen zu behandeln.

Im erwachsenen Gehirn stabilisieren sogenannte perineuronale Netze die Verbindungen zwischen den Nervenzellen und festigen auf diese Weise Erinnerungen. Die Komplexe aus Zuckern und Proteinen lagern sich um die Nervenzellen, Dendriten und Synapsen herum an und modulieren die Signalübertragung: Bestehende Verknüpfungen werden gestärkt, neue hingegen werden weniger leicht gebildet. Tierversuche haben gezeigt, dass die Entfernung perineuronaler Netze die neuronale Plastizität erhöht und das Gehirn wieder so anpassungs- und lernfähig macht wie in der Kindheit.

Perineurale Netze abgebaut

Ein Team um Alessandro Venturino vom Institute of Science and Technology (IST) Austria hat nun zwei Möglichkeiten entdeckt, perineuronale Netze bei Mäusen zu entfernen und so die jugendliche Plastizität ihres Gehirns wiederherzustellen: wiederholte Behandlungen mit dem Anästhetikum Ketamin sowie Lichtflimmern in einer Frequenz von 60 Hertz.

Dass Ketamin dazu geeignet sein könnte, perineuronale Netze zu entfernen, hatten bereits frühere Versuche an Ratten gezeigt. Diese bekamen allerdings über einen längeren Zeitraum niedrige Dosen verabreicht – und entwickelten als Nebenwirkung oft Symptome von Schizophrenie. Venturino und seine Kollegen verwendeten dagegen eine so hohe Dosis Ketamin, dass sie ihre Versuchsmäuse damit in Narkose versetzten. Das Ergebnis: „Nach nur drei Behandlungen konnten wir einen erheblichen Verlust des perineuronalen Netzes feststellen, der sieben Tage lang anhielt, bevor es wieder aufgebaut wurde“, berichtet Venturinos Kollegin Sandra Siegert.

Mikroglia-Aktivität durch Ketamin und Lichtflimmern

Eine wichtige Rolle spielen dabei offenbar die Mikroglia, die als Immunzellen des Gehirns bekannt sind. In einem späten Stadium der Alzheimer-Krankheit können sich diese Fresszellen gegen Synapsen und Nervenzellen richten, andererseits aber auch die schädlichen Plaques abbauen. „Die starke Reaktion der Mikroglia auf die Ketamin-Narkose hat uns überrascht“, erklärt Venturino. „Aber wir haben keine Synapsen oder tote Neuronen verschwinden sehen.“ Stattdessen stellte sich heraus, dass die Mikroglia das perineuronale Netz fressen – und zwar offenbar ohne die in früheren Versuchen beobachteten Nebenwirkungen.

Da bereits bekannt war, dass die Mikroglia auch durch optische Impulse angeregt werden können, testeten die Forscher aus, inwieweit sich die Mikroglia-Aktivität gegen das perineuronale Netz auch ohne Ketamin erreichen lässt. „Es wurde bereits gezeigt, dass Licht, das 40 Mal pro Sekunde – also mit 40 Hertz – flackert, die Mikroglia dazu anregen kann, Plaques zu entfernen, die durch die Alzheimer-Krankheit entstehen. Aber das perineuronale Netz wurde davon nicht angegriffen“, erklärt Venturino. Als die Wissenschaftler die Mäuse dagegen in eine Box setzten, in der das Licht 60 Mal pro Sekunde flackerte, hatte das einen ähnlichen Effekt wie die Ketamin-Behandlungen.

Traumatische Erinnerungen löschen

„Bisherige Strategien, um perineuronale Netze zu entfernen, sind dauerhaft, invasiv und triggern neuropsychiatrische Symptome“, erläutern die Forscher. Die hochdosierte Ketaminbehandlung und das 60-Hertz-Lichtflimmern hingegen sind nur minimalinvasiv und könnten daher auch neue Therapieansätze am Menschen eröffnen. Ist das perineuronale Netz im Gehirn abgebaut, sind die Neuronen wieder empfänglich für neuen Input. Alte Synapsen können leichter abgebaut und neue gebildet werden.

„Es ist aber nicht so, dass man einfach Ketamin einnimmt und dadurch klug wird“, betont Venturino. Indem man die Plastizität wiederherstellt, könnte man möglicherweise traumatische Erfahrungen überschreiben und posttraumatische Belastungsstörungen behandeln. „Aber wir sind sehr vorsichtig, denn in diesem prägenden Fenster könnte auch etwas Traumatisches passieren“, warnt Siegert. „Es ist wahrscheinlich auch keine gute Idee, sich selbst mit flackerndem Licht zu behandeln.“ Welche Anwendungsgebiete und Behandlungen tatsächlich aussichtsreich sind, müssen weitere Studien klären. Zudem wollen sich die Wissenschaftler genauer mit den molekularen Mechanismen beschäftigen, die hinter der Entdeckung stehen. „Es gibt noch eine Menge zu erforschen“, so Venturino.

Quelle: Alessandro Venturino (Institute of Science and Technology (IST) Austria, Wien) et al., Cell Reports, doi: 10.1016/j.celrep.2021.109313

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