Anfang August hatte Sophia Villarraga Geburtstag. Sie wurde zwölf Jahre alt, in den USA können Kinder ab diesem Alter gegen Covid-19 geimpft werden. Ihre Mutter Pilar Villarraga hatte auf den Tag hingefiebert, damit ihre Tochter nicht ungeimpft in das neue Schuljahr starten musste.
Doch Sophia hatte Pech: Zwei Wochen vor ihrem Geburtstag infizierte sie sich mit dem Coronavirus. So beschreibt es die »New York Times«, die mit der Familie aus Florida gesprochen hat.
Sophia bekam Fieber und sollte sich zunächst zu Hause auskurieren. Nach vier Tagen begannen ihre Rippen zu schmerzen. Am Folgetag brachte ihre Mutter sie ins Krankenhaus, wo man auf dem Röntgenbild eine Lungenentzündung erkannte. Sophia hustete Blut. »Ich dachte nicht, dass Kinder so krank werden können«, erzählt Pilar Villarraga der »New York Times«.
Doch Sophia ist offenbar keine Ausnahme. Am gleichen Tag wie die damals Elfjährige kamen US-weit 130 Kinder mit Covid-19 ins Krankenhaus. Auf einer Grafik der US-Seuchenschutzbehörde CDC ist zu erkennen, wie die Kurve der Krankenhauseinlieferungen bei den 0- bis 17-Jährigen Ende Juli stark anstieg – bei insgesamt niedrigen Fallzahlen. Allein in der ersten Augustwoche dieses Jahres kamen im Schnitt 203 Kinder täglich in die Klinik, in der Woche zuvor waren es noch 168 täglich. Zuletzt hatte es in dieser Altersgruppe im Januar so viele Einlieferungen gegeben, als die letzte Coronawelle ihren Höhepunkt in den USA hatte.
Deltawelle spielt sich auch unter Kindern ab
Bislang hieß es, Kinder und Jugendliche hätten ein sehr geringes Risiko, schwer an Covid-19 zu erkranken. Der NYT zufolge sehen Medizinerinnen und Mediziner in den USA nun mehr schwer kranke Kinder als je zuvor seit Beginn der Pandemie. Könnte die hochansteckende Delta-Variante ein Grund sein?
»Alle sind etwas nervös, dass die Delta-Variante tatsächlich etwas gefährlicher für Kinder sein könnte«, sagt Richard Malley, Spezialist für pädiatrische Infektionskrankheiten am Boston's Children Hospital. Wissenschaftlich belegt ist diese Vermutung nicht. Bislang zeigen Studien übereinstimmend, dass die große Mehrheit der Kinder und Jugendlichen bei einer Infektion mit dem Coronavirus – wenn überhaupt – nur milde Symptome entwickelt. Die Datenlage bezüglich Delta ist bisher allerdings noch dünn.
»Es gibt bisher keine handfesten Beweise dafür, dass die Erkrankung bei Delta schwerer verläuft«, sagt Jim Versalovic, leitender Pathologe am Texas Children's Hospital im US-Bundesstaat Houston, wo derzeit rund zehn Prozent der Kinder einen positiven Coronatest haben. »Wir sehen zwar gerade sehr schwere Fälle, aber wir haben während der Pandemie schon häufiger schwere Fälle gesehen.«
Dass die Krankenhauseinlieferungen bei Kindern steigen, könnte auch noch andere Gründe haben als die Eigenschaften der Mutante. Zum einen steigen die Corona-Fallzahlen gerade wieder weltweit an. Auch in den USA sorgt derzeit die Delta-Variante für einen drastischen Anstieg der Neuinfektionen. Zuletzt wurde ein Sieben-Tages-Schnitt von 97.400 Corona-Neuinfektionen täglich vermeldet.
Und das führt zu einer einfach Rechnung: Je mehr Menschen infiziert sind, desto höher ist auch die Zahl der schweren Verläufe und Hospitalisierungen.
Noch geringe Impfquote
Zum anderen ist die Impfquote unter den 12- bis 17-Jährigen noch nicht so hoch, wie bei den Erwachsenen. In den USA werden Kinder ab zwölf Jahren schon länger geimpft. Die Behörden führen allerdings keine Statistik, wie viele in der Altersgruppe bereits eine Impfung erhalten haben. Es dürften mehr als in Deutschland sein.
Hierzulande gelten derzeit rund 12,6 Prozent der Kinder und Jugendlichen als vollständig geimpft. Obwohl es noch keine allgemeine Impfempfehlung für diese Altersgruppe gibt, haben die Gesundheitsminister vergangene Woche beschlossen, allen 12- bis 17-Jährigen ein Impfangebot zu machen.
Unter-12-Jährige noch vollkommen ungeschützt
Kinder unter zwölf Jahren hingegen können noch gar nicht geimpft werden, weil kein Impfstoff für sie zugelassen ist – auch in den USA nicht. Der Pharmakonzern Biontech/Pfizer gab im Juni bekannt, seinen Impfstoff auch an den ganz jungen Kindern zu erproben. Bisher wurde jedoch noch kein Zulassungsantrag eingereicht. US-Medien zufolge will der Biontech-Partner Pfizer den Antrag bei der US-Zulassungsbehörde FDA im Winter stellen. Die europäische Arzneimittelagentur Ema könnte kurz darauf folgen. Ob die Datenlage der Ständigen Impfkommission (Stiko) dann jedoch ausreicht, um eine generelle Impfempfehlung auszusprechen, wird sich zeigen.
In dieser Altersgruppe trifft die Delta-Variante also vorerst nur auf ungeschützte Wirte, die gleichzeitig durch Schulunterricht und Kita-Besuch zahlreiche soziale Kontakte haben. Die Delta-Variante, die nach jetziger Einschätzung bis zu 60 Prozent ansteckender ist als vorherige Varianten, kann sich dort also wie ein Lauffeuer verbreiten. Mehrere Länder, darunter auch Deutschland, beobachten derzeit, dass die Corona-Fälle vor allem bei den Jüngeren steigen.
Dass der Anstieg der schweren Verläufe bei Kindern gerade in den USA stattfindet, könnte zudem mit der dortigen Bevölkerungsstruktur zusammenhängen. In den USA leben mehr übergewichtige Kinder als etwa in Europa. Übergewicht gilt als ein Risikofaktor für einen schweren Covid-19-Verlauf.
Der Chef der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut, Thomas Mertens, sagte im Interview mit dem SPIEGEL, die Lage in den USA sei aus diesem Grund nicht mit der hiesigen vergleichbar: »In den USA wird die Impfung für 12- bis 17-Jährige empfohlen, aber dort ist auch die Krankheitslast durch Covid-19 in diesem Alter viel größer als in Deutschland«, so Mertens. »Das liegt wahrscheinlich daran, dass dort mehr Kinder ein metabolisches Syndrom – Übergewicht, Bluthochdruck, gestörter Fettstoffwechsel und hoher Blutzucker – haben. Außerdem ist die medizinische Versorgung vieler Kinder in den USA etwas schlechter als bei uns.«
Zudem gibt es keine generelle Maskenpflicht. Die CDC empfiehlt zwar allen Schulkindern, in diesem Herbst Masken zu tragen. Die Entscheidung, ob das an der jeweiligen Schule auch Pflicht ist, liegt jedoch bei den Bundesstaaten.
»Die meisten Kinder sind nicht sehr krank«
Die große Mehrheit der Kinder aber – das ist auch nach einer Infektion mit der Delta-Variante weiterhin der Fall – hat nur milde Symptome. Das bestätigen auch die US-Ärzte, die in dem NYT-Artikel genannt werden: »Die meisten Kinder sind nicht sehr krank«, sagt Wassam Rahman, ärztlicher Direktor am Johns Hopkins All Children’s Hospital in Florida. Sie hätten laufende Nasen, Husten oder Fieber – meistens könnten sie sich zu Hause auskurieren.
Sophia Villarraga hatte keine Risikofaktoren und doch erwischte es sie schwer. Nach der Krankheit erholte sich das Mädchen wieder und konnte kurz vor ihrem zwölften Geburtstag entlassen werden.
Solange Kinder unter zwölf Jahren nicht selbst geimpft werden können, schützen die gängigen Maßnahmen wie Maske tragen, Abstandhalten, Lüften und Hygiene sie am besten. Und je mehr Menschen geimpft sind, desto kleiner wird ihr Infektionsrisiko. Sind die Gesamt-Fallzahlen gering, wird es auch für ungeschützte Kinder unwahrscheinlicher, sich anzustecken und möglicherweise schwer an Covid-19 zu erkranken.
Delta-Variante: In den USA kommen mehr Kinder mit Covid-19 ins Krankenhaus - DER SPIEGEL
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