Drei Tage lang hat SPIEGEL Redakteur Tobias Großekemper für seine Reportage Intensivpfleger und -pflegerinnen des Uniklinikums Leipzig begleitet. Zu sehen bekam er erschöpftes Personal und todkranke Patienten. Wir haben auf Instagram dazu aufgerufen, ihm Fragen zu seiner Recherche, dem Pflegenotstand oder zur Situation auf den Stationen zu stellen. Hier kommen die Antworten.
Wie hast du die Stimmung auf der Intensivstation empfunden? Wie geht es den Pflegern dort?
»Auf der einen Seite war die Sorge vor dem, jetzt kommt, was sich schon in der vergangenen Woche abgezeichnet hat: immer weiter steigende Zahlen und damit auch Übernahmen. Und die andere Schwierigkeit, die das Personal dort hatte, war dieses Drinnen, auf der Station, hier sterben Menschen, mit dem Draußen, da wird gefeiert, da wird gelebt, da wird gemacht, getan. – Das übereinander zu bringen, weil das schon eine gewisse Form von Schizophrenie ist. Denn, ja ich glaube das sagt es am besten, drinnen wird gestorben, als gäbe es keinen Impfstoff und draußen wird gelebt, als gäbe es kein Corona.«
Wie groß ist die Wut auf Ungeimpfte, die Corona immer noch leugnen?
»Alles, was ich gesehen habe, gibt mir keinerlei Anlass darüber nachzudenken, dass nicht alle gleich gut behandelt werden. Das also vorweg. Aber natürlich steht man teilweise vor Situationen und hat Schwierigkeiten, die für sich selbst zu erfassen. Denn, wenn ein Mensch dort liegt und mit dem Tod ringt, der diesen Weg, nach allem, was wir heute wissen, nicht hätte nehmen müssen, wenn er sich hätte impfen lassen, dann ist das schon eine Schwierigkeit..«
Wie offen waren die Beschäftigten dir gegenüber? Hattest du das Gefühl, die waren froh, durch dich Gehör zu finden oder standest du auch mal im Weg herum?
»Ich hatte den großen Vorteil, dass ich gelernter Krankenpfleger bin und insofern zwar nicht alles verstanden habe von dem, was da geschieht, aber die Grundprinzipien zumindest verinnerlicht hatte oder noch kenne. Das hat mir geholfen. Letzendes stand ja nicht ich oder die Recherche im Vordergrund, sondern die Menschen, die da etwas tun. Nicht etwas tun, etwas Notwendiges und sehr, sehr Anstrengendes tun. Und so habe ich diese Arbeit auch gesehen für mich: nehme mich ein Stück zurück, stör nicht, steh nicht im Weg rum.«
Du kennst zwar die Arbeit auf der Station, aber wie war das für dich in dieser doch sehr extremen Situation? Wie schafft man es, Distanz zu bewahren?
»Ich bin ja quasi nur mitgelaufen und habe nur aufgeschrieben. Insofern war das einfach meine Arbeit, die aber auch nach drei Tagen wieder vorbei war. Diese Menschen, die dort arbeiten und die das jetzt schon seit 20 Monaten machen, natürlich nicht in der Intensität seit 20 Monaten. Diese Menschen haben ja nie die Zeit bekommen, mal durchzuschnaufen. Die konnten nicht mal eben drei Monate in den Urlaub gehen geschlossen und sagen, so jetzt macht mal euren Scheiß alleine. Und jetzt rutschen die quasi aufgerieben von dem was war, in das, was jetzt kommen wird und haben dabei die Sorge, das alles noch schlimmer wird als vergangenes Weihnachten. Und das ist glaub ich viel, viel härter.«
Wie gehen Angehörige und Patient:innen damit um, wenn man als Journalist vor Ort berichtet?
»Wir sind hier auf einer Corona-Intensivstation und die Menschen, die hier liegen, haben massivste, massivste gesundheitliche Einschränkungen. Und wenn sie auf diese Station kommen, dann sind sie vielleicht noch in der Lage zu sprechen, aber das ist irgendwann vorbei, wenn die Krankheit ihren Verlauf nimmt. Und dann hast du dort Menschen, Körper, die komplett sediert sind. Also im künstlichen Koma liegen und ich habe mit diesen Menschen natürlich nicht sprechen können und habe alles dafür getan, die Persönlichkeitsrechte dieser Person zu wahren. Deswegen kommen natürlich keine Namen vor und dergleichen mehr.«
Würde eine Impflicht einen weiteren Personalmangel in den Krankenhäusern provozieren?
»Für die Menschen, die dort arbeiten, kann ich nichts Negatives an einer Impfpflicht sehen, an einer allgemeingültigen Impfpflicht. Weil es diese Menschen einfach entlasten würde, in dem, was sie tun. Und ich persönlich, aber das ist nur meine persönliche Meinung, habe null Verständnis dafür, dass man in solchen sensiblen Bereichen arbeitet und eine Impfpflicht für sich persönlich ablehnt. Wenn man meint, das tun zu müssen, dann sollte man vielleicht woanders arbeiten.«
Was müsste die Politik in Zukunft tun? Wie kann der Dauernotstand beendet werden?
»Pflegekräfte haben letzendes einen Wunsch, letzendes einen Wunsch, den wir alle haben, aber der einfach momentan sehr schwer vorstellbar ist. Die möchten einfach wieder in einen normalen Modus reinkommen. Sie möchten ihre Arbeit mache, für die sie ausgebildet sind. Sie möchten mit den normalen Fällen arbeiten, die möchten das tun, was sie immer getan haben, denn das machen sie verdammt gut. Sie möchten aber nicht in einem permanenten Dauerstress agieren, der die Leute, glaube ich, auf Dauer einfach mürbe macht. Auch das ein Zitat, das mir gegeben worden ist: "Wir werden gerade zum zweiten Mal verbrannt.", Intensivpflegefachkraft sagte das. Das erste Mal verbrannt worden sind diese Menschen in der zweiten Welle, wie gesagt rund um Weihnachten vergangenen Jahres. Und jetzt geht es wieder los. Und wenn diese Menschen nicht besser geschützt werden, wenn ihr Berufsbild nicht mehr wertgeschätzt wird, wenn wir nicht einen fundamentalen Wendel dahin bekommen, dass wir erkennen, was für eine Wichtigkeit diese Tätigkeit ist, die sie da tun, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn die Leute von der Fahne gehen.«
Recherche auf Corona-Intensivstation: Das Sterben nimmt kein Ende - DER SPIEGEL
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