Wechselwirkungen zwischen Darmbakterien, Ernährung und Arzneien
Medikamente wirken nicht bei allem Menschen gleich. Wie gut eine Arznei anschlägt, ist laut einem renommierten Biochemiker auch abhängig von der Darmflora einer Person. Neuste Forschungsergebnisse legen nahe, dass das Mikrobiom im Darm eine entscheidende Rolle bei der Wirksamkeit von Arzneimitteln spielt.
Dr. Michael Zimmermann ist Biochemiker am Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg. In einem Interview mit der Daimler und Benz Stiftung erläutert der Experte, wie Darmbakterien die Wirksamkeit von Medikamenten beeinflussen.
Darmbakterien beeinflussen die Wirksamkeit von Arzneimitteln
Das Mikrobiom im Darm wird oft als Darmflora bezeichnet. Gemeint damit sind alle Mikroorganismen, die sich im Darm einer Person angesiedelt haben. Studien der letzten Jahre haben immer wieder gezeigt, dass die Darmbakterien wichtige Stoffwechselprodukte produzieren, die für die gesamte Gesundheit des Menschen von Bedeutung sind.
Wie Dr. Zimmermann berichtet, sind Darmbakterien zudem in der Lage, bestimmte Wirkstoffe aus Medikamenten zu aktivieren oder auch zu deaktivieren. Umgekehrt verändern manche Medikamente wie beispielsweise Antibiotika wiederum die Zusammensetzung der Darmflora, was ungewollte Effekte nach sich ziehen kann.
Das Team um Dr. Zimmermann untersucht dieses Zusammenspiel. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler möchten erreichen, dass Patientinnen und Patienten Medikamente erhalten, die für die jeweilige Darmflora geeignet sind. Die Forschungsarbeit wird von der Daimler und Benz Stiftung mit 40.000 Euro gefördert.
Seit wann ist der Einfluss der Darmflora auf Medikamente bekannt?
„Tatsächlich steht das Darmmikrobiom erst seit zwei Jahrzehnten im Fokus der Wissenschaft“, erklärt der Biochemiker. Das habe vor allem mit technologischen Entwicklungen zu tun. Heute sei es möglich, die DNA von Darmbakterien innerhalb kurzer Zeit zu sequenzieren.
„Die Vorstellung, dass die Darmflora die Wirkung von Medikamenten beeinflusst, besteht allerdings schon länger; vor 50 Jahren gab es sogar eine erste wissenschaftliche Konferenz dazu“, so Dr. Zimmermann. Aber erst heute sei es möglich, diese Zusammenhänge genauer zu erforschen.
Größenordnung der Darmflora
„Unser Körper ist stark besiedelt, und zwar mit mindestens so viel Mikroben wie wir eigene Körperzellen besitzen“, betont der Experte. Die Kleinstlebewesen bringen insgesamt 150 mal so viele bakterielle Gene zusammen, wie wir menschliche Gene in unserem Körper haben.
Enormes wissenschaftliches Potenzial
Aus wissenschaftlicher Sicht sei dies faszinierend, da von dem Mikrobiom ein enormes metabolisches Potenzial ausgeht. „Einen Großteil seiner Gene verstehen wir gegenwärtig noch nicht“, verdeutlicht Dr. Zimmermann.
Der Wissenschaftler sieht einen riesigen Wissensschatz in der Darmflora versteckt. „Schließlich ist das Mikrobiom für die Nahrungsaufnahme, den Metabolismus und das Immunsystem relevant“, unterstreicht der Forscher.
Wie unterscheidet sich die Darmflora bei verschiedenen Personen?
„Obwohl wir Menschen uns untereinander genetisch nur weniger als ein Prozent unterscheiden, liegt der Unterschied beim Mikrobiom von Person zu Person bei bis zu 80 Prozent“, stellt der Biochemiker klar. Beeinflusst werde das Zusammenspiel mitunter von der Ernährung, dem Lebensstil sowie von Erkrankungen.
Kulturelle Unterschiede seien ebenfalls erkennbar. „Unser europäisches Essen ist beispielsweise nicht mehr so faserreich wie in anderen Kulturen oder in früheren Epochen“, erklärt der Mikrobiom-Fachmann. Dies könne zu einem Teilverlust des Mikrobioms führen.
Die Arbeitsgruppe um Dr. Zimmermann nutzt unterschiedliche Ansätze, um die Darmflora zu erforschen. Unter anderem möchte das Team herausfinden, wozu die Mikroben biochemisch in der Lage sind und wie sie mit Medikamenten interagieren.
Darmflora ist nicht auf Verstoffwechselung von Medikamenten ausgelegt
„Durch die Grundlagenforschung können wir viel lernen, denn die Evolution der Bakterien ist ursprünglich nicht darauf ausgerichtet, Medikamente in unserem Körper zu verstoffwechseln – dies geschieht erst seit zirka einem Jahrhundert“, schildert Zimmermann.
Im Rahmen der Forschungsarbeiten arbeitet das Team mit Krankenhäusern zusammen. Die Forschenden analysieren das Mikrobiom von erkrankten Personen und sequenzieren die DNA der Darmbakterien. Dabei können Assoziationen mit bestimmten Krankheiten aufgedeckt werden oder Interaktionen zwischen Medikamenten und Bakterien.
Auf die Darmflora angepasste Medikamente
„Wir hoffen, dass unsere Erkenntnisse und Ergebnisse in den kommenden Jahren einen wesentlichen Beitrag in der personalisierten Medizin leisten: Patienten sollen nach Abgabe einer Stuhlprobe und Analyse ihres Mikrobioms künftig die für sie geeigneten Medikamente in der richtigen Dosierung erhalten“, beschreibt der Biochemiker.
Im besten Fall müsse die positive Wirkung einer Arznei maximal ausgeschöpft und dabei das Darmmikrobiom minimal beeinflusst werden. Anders sei dies bei Medikamenten, die gezielt dafür eingesetzt werden könnten, um die Zusammensetzung der Darmflora zu verbessern, wie beispielsweise Präbiotika oder Probiotika.
Behandlung zahlreicher Krankheiten verbessern
Nach Angaben von Dr. Zimmermann könnten die Erkenntnisse die Behandlung zahlreicher Krankheiten verbessern. Profitieren würden ihm zufolge insbesondere „chronisch Kranke; zum Beispiel Menschen mit Bluthochdruck, Diabetes, Autoimmunerkrankungen oder psychotischen Störungen – und natürlich Organtransplantierte, bei denen die Einstellung des Immunsystems ja immer eine therapeutische Gratwanderung ist“.
Lass Nahrung deine Medizin sein
Bereits der griechische Arzt Hippokrates soll gesagt haben: „Lass Nahrung deine Medizin sein und Medizin deine Nahrung.“ Wie Zimmermann betont, ist dies auch nach wie vor gültig: „Das wollen wir mit unserer Forschung nicht nur beschreiben, sondern voraussagen!“
„Ein besseres Verständnis der Funktionen und des Stoffwechsels des Darmmikrobioms scheinen dazu ein wichtiger Schlüssel zu sein“, resümiert der Darmbakterien-Experte. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
Autor:
Diplom-Redakteur (FH) Volker Blasek
Quellen:
- Daimler und Benz Stiftung: Bestimmen Darmbakterien, ob ein Medikament wirkt? (PDF, veröffentlicht: 06.07.2022), daimler-benz-stiftung.de
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.
Wie Darmbakterien die Wirkung von Medikamenten beeinflussen - Heilpraxisnet.de
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