Blasenentzündung: Wenn jeder Tropfen schmerzt
Erst ist es nur ein leichtes Ziehen im Unterleib, aber Ilona Hardt ahnt bereits, dass sie bald wieder von stechenden Schmerzen geplagt sein wird. Seit ihrer Jugend leidet die 51-Jährige an Blasenentzündungen. Alle fünf bis sechs Wochen treten die Infekte zurzeit bei ihr auf. »Plötzlich muss ich im Fünfminutentakt zur Toilette rennen. Dann bekomme ich periodenähnliche Krämpfe und es brennt beim Wasserlassen«, beschreibt sie die ständig wiederkehrenden Symptome.
Eine Blasenentzündung, auch Zystitis genannt, sowie andere Harnwegsinfekte sind häufige Gründe für einen Arztbesuch. Verlässliche Daten dazu gibt es kaum, auch weil nur ein Teil der Betroffenen medizinische Hilfe sucht. Das Wissenschaftliche Institut der AOK teilt auf Anfrage mit, dass die Diagnose Zystitis im Jahr 2021 bei 2,2 Prozent der Behandlungsfälle gestellt wurde, zum überwiegenden Teil bei Frauen. Mit dem Alter steigt die Erkrankungshäufigkeit deutlich an. Betrachtet man Harnwegsinfekte allgemein, sind Studien zufolge bis zu acht von zehn Frauen mindestens einmal im Leben betroffen. Pro Jahr erkranken elf Prozent der Frauen, etwa jede dritte davon erleidet drei oder mehr Infekte innerhalb eines Jahres. Ilona Hardt ist eine von ihnen.
Dass es Frauen häufiger als Männer trifft, liegt vor allem an ihrer vergleichsweise kurzen Harnröhre und dem geringen Abstand zwischen Genital- und Analbereich. Dadurch können Keime aus dem Darm leicht in den Harntrakt gelangen und dort Entzündungen hervorrufen. Die Infekte sind aber keineswegs nur ein Frauenproblem. »Im höheren Alter ziehen die Männer nahezu gleich«, sagt Florian Wagenlehner, Direktor der Klinik für Urologie, Kinderurologie und Andrologie am Universitätsklinikum Gießen. Grund dafür sei oft eine Vergrößerung der Prostata, die bei fast allen Männern jenseits des 80. Lebensjahres zu finden ist. Dadurch kann bei Betroffenen der Abfluss des Urins gestört sein; der Restharn in der Blase begünstigt Entzündungen.
Liegen solche anatomischen Veränderungen einer Zystitis zu Grunde, stufen Medizinerinnen und Mediziner sie als kompliziert ein. Gleiches gilt bei Nierenfunktionsstörungen oder Begleiterkrankungen. In den meisten Fällen handelt es sich aber um unkomplizierte Blasenentzündungen, wie bei Ilona Hardt, die mit starkem Harndrang, Schmerzen beim Wasserlassen und Bauchbeschwerden einhergehen. Bleibt die Infektion nicht auf die unteren Harnwege beschränkt, kann eine Nierenbeckenentzündung mit Fieber die Folge sein. »Die Bandbreite der Krankheitsbilder ist groß«, sagt Florian Wagenlehner. »Sie reicht von einer Keimbesiedlung der Blase ohne Symptome bis hin zur lebensbedrohlichen Sepsis, wenn die Entzündung verschleppt wird.«
In etwa 80 Prozent der Fälle lösen Kolibakterien Blasenentzündungen aus. Auch andere Erreger wie Staphylokokken, Enterokokken oder Klebsiellen können eine Infektion verursachen. Normalerweise verhindert häufiges Wasserlassen, dass sich Keime in der Harnröhre festsetzen.
»Bei ihnen hängen Blasenentzündungen meist mit dem Geschlechtsverkehr zusammen«Ursula Peschers, Urogynäkologin
Manche Menschen trifft es besonders häufig
Bestimmte Faktoren begünstigen die Entstehung einer Zystitis, können gar zu chronischen Verläufen führen. Wenn die Infekte mindestens zweimal im Halbjahr oder dreimal im Jahr auftreten, sprechen Medizinerinnen und Mediziner von rezidivierenden Blasenentzündungen. Besonders anfällig dafür sind junge Frauen. »Bei ihnen hängen Blasenentzündungen meist mit dem Geschlechtsverkehr zusammen«, sagt Ursula Peschers, Urogynäkologin und Leiterin des Beckenbodenzentrums am Isarklinikum München. »Man nennt das Honeymoon-, also Flitterwochen-Zystitis.« Die Bezeichnung stammt noch aus der Zeit, als die meisten Frauen ihren ersten Geschlechtsverkehr in der Hochzeitsnacht hatten – und mit den Flitterwochen und häufigem Sex dann oft eine Blasentzündung einherging. Es liegt nahe zu denken, dass die Keime, welche die Infekte auslösen, vom Sexpartner stammen. Doch es sind in der Regel die eigenen Darmbakterien der Frau, die während des Sex zur Harnröhre gelangen. Begünstigt wird eine Zystitis dabei auch durch bestimmte Verhütungsmethoden: Spermizide etwa können die Vaginalflora aus dem Gleichgewicht bringen. Weil häufiger Geschlechtsverkehr ein Risikofaktor für Blasenentzündungen ist, wird Frauen empfohlen, nach dem Sex Wasser zu lassen, um mögliche Erreger schnell wieder auszuspülen.
Eine weitere typische Patientengruppe sind Frauen nach den Wechseljahren. »Der Östrogenmangel lässt die Scheidenhaut trockener und dünner werden. Bakterien haben dann leichtes Spiel, sich anzusiedeln«, erklärt Ursula Peschers. Diese Ursache hat auch Ilona Hardts behandelnder Arzt im Verdacht. Nach der Menopause sinkt außerdem die Zahl der Laktobazillen im Scheidenbereich und damit der Schutz vor schädlichen Keimen. Hinzu kommt, dass ab einem gewissen Alter oft Restharn in der Blase verbleibt, in dem sich Bakterien vermehren können.
»Wie empfindlich ein Mensch ist, hängt mit den Eigenschaften seines Immunsystems zusammen«, sagt Florian Wagenlehner. Stress, Kälte oder Diabetes erhöhen die Infektanfälligkeit. Auf molekularer Ebene sei die Abwehr der Harnblase aber noch nicht vollständig verstanden. Es gibt Hinweise darauf, dass Immunantworten bei einer Zystitis vom Körper vorzeitig abgebrochen werden, um die Blasenschleimhaut zu schützen. Dadurch können Bakterien zurückbleiben, die dann möglicherweise chronische Infektionen verursachen.
Wie man Blasenentzündungen in den Griff bekommt
Die Therapie einer Blasenentzündung hängt davon ab, ob der Infekt sporadisch auftritt oder immer wiederkommt. Gemeinsam mit anderen Fachleuten hat Florian Wagenlehner unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Urologie eine Behandlungsleitlinie erarbeitet, wonach bei einer akuten Zystitis primär eine Antibiotikatherapie empfohlen wird. Damit lassen die Symptome meist innerhalb von ein bis drei Tagen nach. »Ein verantwortungsvoller und zielgerichteter Einsatz dieser Medikamente ist jedoch wichtig, damit keine Resistenzen entstehen«, betont der Urologe.
Bei unkomplizierten Blasenentzündungen kann je nach Beschwerden auf Antibiotika verzichtet werden. Studien zufolge klingen die Symptome bei bis zu 58 Prozent der Patienten, die nur Schmerzmittel einnehmen, innerhalb von drei bis vier Tagen ab. Mit einem pflanzlichen Arzneimittel können bis zu acht von zehn Betroffene eine Antibiotikatherapie vermeiden. Allerdings treten Nierenbeckenentzündungen häufiger auf: Die Metaanalyse, an der Florian Wagenlehner beteiligt war, zeigt Anteile von 0,4 Prozent bei sofortiger Antibiotikatherapie und 3,6 Prozent bei alternativer Behandlung. »Man muss vorab besprechen, ob Patienten dieses Risiko eingehen wollen«, sagt der Urologe.
Behandlung einer akuten Blasenentzündung
- Abwarten: Bei 30 bis 50 von 100 Betroffenen heilt eine unkomplizierte Zystitis nach einer Woche auch ohne Therapie aus.
- Schmerzmittel: Wirkstoffe wie Ibuprofen helfen gegen Unterbauchbeschwerden und das brennende Gefühl beim Wasserlassen.
- Phytopharmaka: Pflanzliche Arzneimittel können die Behandlung unterstützen.
- Antibiotika: Bei stärkeren Symptomen empfehlen Experten Bakterien abtötende Mittel. Damit klingen die Beschwerden schneller ab.
Rezidivierende Blasenentzündungen erfordern andere Strategien, auf Antibiotika soll dabei möglichst verzichtet werden. Florian Wagenlehner empfiehlt, mit Verhaltensmaßnahmen anzufangen (siehe Infokasten »Tipps zur Vorbeugung einer Blasenentzündung«), beispielsweise auf Hygiene zu achten, ausreichend zu trinken und Unterkühlungen zu vermeiden. Ein Teil der Betroffenen kann so infektfrei werden. Ilona Hardt hat damit keinen Erfolg, obwohl sie sich konsequent an die Tipps halte: Sie trinke täglich drei Liter Wasser und Tee, habe immer ein Wärmekissen dabei und trage selbst im Hochsommer Filzpantoffeln.
»Ich habe viel Geld für solche Mittel ausgegeben. Viel gebracht hat es bei mir nicht«Ilona Hardt, Betroffene
Helfen können pflanzliche Mittel mit keim- oder entzündungshemmender Wirkung. Cranberrys etwa enthalten Stoffe, die das Anheften der Bakterien an die Blasenschleimhaut verhindern können. Eine Auswertung von Studien lässt vermuten, dass Infekte damit nicht oder erst später wiederkehren. »Die Datenlage ist sehr heterogen, man kann keine klare Empfehlung aussprechen«, sagt Florian Wagenlehner. Auch D-Mannose hemmt das Andocken der Keime. Die Zuckerart ist Studien zufolge wirksam, jedoch mit unklarer Evidenz. »Ich habe viel Geld für solche Mittel ausgegeben«, blickt Ilona Hardt zurück. »Viel gebracht hat es bei mir nicht.«
Tipps zur Vorbeugung einer Blasenentzündung
Nicht alle Maßnahmen sind wissenschaftlich belegt. Dennoch kann es sich lohnen, im Alltag auf bestimmte Dinge zu achten:
- Ausreichend trinken: Viel Flüssigkeit spült die Harnwege und macht es Keimen schwer, sich anzusammeln.
- Warmhalten: Kühlt der Körper aus, wird er anfälliger für Infekte.
- Hygiene: Übertriebene Pflege im Intimbereich kann die Schleimhäute schädigen und begünstigt, dass Bakterien eindringen.
- Verhütung: Spermizide verändern die Scheidenflora und erhöhen das Infektionsrisiko.
- Blase entleeren: Nach dem Geschlechtsverkehr soll Wasserlassen helfen, Keime auszuspülen.
- Wischtechnik: Den Po von vorne nach hinten zu säubern reduziert die Gefahr, dass Darmbakterien in die Harnröhre gelangen.
Therapieerfolg ist nicht immer von Dauer
Vor gut 15 Jahren empfahl ein Urologe Ilona Hardt eine Immunstimulation, die ähnlich wie eine Impfung funktioniert. Inaktivierte Keime werden dabei dreimal im Abstand von ein bis zwei Wochen in den Oberarmmuskel gespritzt, bei Bedarf folgt eine Auffrischung nach einem Jahr. »Das soll die Abwehrmechanismen der Harnblase verbessern«, erklärt Florian Wagenlehner. Laut Studien sinkt die Rate rezidivierender Infekte um 26 bis 93 Prozent. Ilona Hardt blieb damit fünf Jahre infektfrei. Als sie mit den Auffrischungen aufhörte, kamen die Entzündungen wieder. Vor drei Jahren ließ sie sich erneut immunisieren, trotzdem häuften sich danach die Infekte.
Zur Immunstimulation eignen sich auch Kapseln, die Fragmente von Kolibakterien enthalten. Sie werden zunächst drei Monate täglich, später tageweise geschluckt. Das verringert laut einer Metanalyse die Rezidivrate um 39 Prozent. Auch das habe Ilona Hardt versucht, wegen Verdauungsbeschwerden aber nach vier Wochen abgebrochen.
Das Expertenfazit zur Immunstimulation fällt gemischt aus. Florian Wagenlehner sagt: »Die Infekte gehen damit nicht auf null, aber ihre Häufigkeit nimmt ab.« Ähnlich beobachtet es Ursula Peschers: »Einige Patientinnen haben zumindest eine Zeit lang Ruhe.« Weil die Wirkung jedoch nicht sicher nachgewiesen ist, bezahlen die gesetzlichen Krankenkassen eine Immunstimulation nicht.
Patientinnen mit häufig wiederkehrenden Blasenentzündungen haben meist schon alles ausprobiert, sagt Ursula Peschers. Ihnen erstellt sie individuelle Therapiepläne, verordnet etwa nach den Wechseljahren eine lokale Östrogentherapie. Die Hormone können Studien zufolge das Infektrisiko halbieren. Manchen Frauen helfe auch eine Instillationsbehandlung, bei der beispielsweise Hyaluronsäure und Chondroitinsulfat über einen Katheter direkt in die Blase gegeben werden. Wie ein Flüssigverband sollen sich die Präparate auf angegriffene Stellen in der Schleimhaut legen. Die Therapie erfolgt zu Beginn wöchentlich, dann einmal pro Monat und dauert meist ein halbes Jahr. Laut Ursula Peschers ist die Instillation der Harnblase kostspielig und wird von den gesetzlichen Krankenkassen nicht übernommen. Zudem gibt es nur wenige Studien dazu, wie wirksam diese Behandlungen sind.
Bei hohem Leidensdruck bleibt meist nur eine Dauerprophylaxe mit niedrig dosierten Antibiotika, die über drei bis sechs Monate eingenommen werden. Nach Ursula Peschers Erfahrung kommen die Infekte jedoch bei fast allen Patientinnen wieder, wenn sie die Mittel absetzen: »Meist liegen doch andere Risikofaktoren zu Grunde, etwa eine Blasenentleerungsstörung oder ein Diabetes.« Frauen mit Honeymoon-Zystitis können alternativ eine postkoitale Prophylaxe durchführen, sie nehmen Antibiotika nur nach dem Geschlechtsverkehr ein. Ilona Hardt macht bei einem akuten Infekt eine antibiotische Kurzzeittherapie in Eigenregie: »Ich habe das Medikament immer auf Vorrat zu Hause, schlucke es aber nur, wenn ich eindeutige Schmerzen habe«, so die 51-Jährige.
»Trotz aller Optionen haben wir bei manchen Patientinnen keinen dauerhaften Erfolg«, stellt Ursula Peschers fest. Künftige Therapien könnten das ändern. Methenamin etwa, das in der Blase desinfizierend wirkt, schnitt in einer 2022 veröffentlichten Studie ähnlich gut ab wie Antibiotika. Bei den Immunstimulanzien gibt es ein recht neues Präparat, das über die Mundschleimhaut aufgenommen wird und das Infektrisiko deutlich reduzieren soll. Zudem werden laut Florian Wagenlehner Substanzen weiterentwickelt, die an die Härchen der Bakterien binden und das Andocken hemmen. Geforscht wird auch an Alternativen zu Antibiotika, wie Bakteriophagen, die Keime gezielt angreifen. Noch sind diese Therapien in Deutschland nicht verfügbar.
Bis neue wirksame Präparate hier erhältlich sind, müssen einige Betroffene wohl mit rezidivierenden Entzündungen leben. Eine »schreckliche Vorstellung«, findet Ilona Hardt, denn die ständigen Infekte schränken sie in ihrem Alltag ein: »Ich warte regelrecht darauf und bin angespannt, weil ich die Schmerzen fürchte.« Hoffnung setzt sie auf die Östrogenzäpfchen, die sie seit wenigen Wochen nimmt. Bis die Hormone ihre Wirkung entfalten, dauere es aber noch. So lebt sie vorerst weiter in Sorge vor der nächsten Blasenentzündung.
Prophylaxe bei wiederkehrenden Blasenentzündungen
Was Betroffenen hilft, muss meist individuell ausprobiert werden:
- Pflanzliche Mittel: Präparate mit Cranberry, Bärentraubenblättern, Kapuzinerkresse oder Meerrettichwurzel haben eine keim- oder entzündungshemmende Wirkung.
- D-Mannose: Der Zucker bindet Bakterien in der Blase, wodurch diese leichter ausgeschieden werden können.
- Immunstimulation: Durch eine Impfung mit inaktivierten Bakterien soll der Körper lernen, sich gegen die Erreger besser zur Wehr zu setzen.
- Hormonsubstitution: Bei Frauen nach den Wechseljahren können östrogenhaltige Scheidenzäpfchen die vaginale Keimbesiedlung verringern.
- Antibiotische Dauerprophylaxe: Niedrig dosierte Antibiotika werden über Monate hinweg eingenommen, aber erst eingesetzt, wenn andere Maßnahmen versagt haben.
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