Der erste Corona-Herbst ohne Auflagen, doch laut Klaus Stöhr könnte es in Kliniken erneut knifflig werden. Mit IPPEN.MEDIA spricht der Virologe über die Lage in Deutschland.
Frankfurt – Im Herbst nehmen die Atemwegserkrankungen in Deutschland wieder zu, auch Corona-Fälle werden vermehrt gemeldet. Nach aktuellen Zahlen des Robert Koch-Instituts (RKI) wurde die Corona-Untervariante Eris (EG.5) bei der Hälfte der Infektionen (53 Prozent) nachgewiesen. Die Pirola-Untervariante (BA.2.86) hingegen macht lediglich einen Anteil von zehn Prozent aus, in der Woche zuvor waren es noch sieben Prozent.
Breitet sich Pirola also allmählich immer weiter in Deutschland aus? Für den Epidemiologen und Virologen Klaus Stöhr ist die Diskussion um Corona-Varianten aus medizinischer Sicht wenig bedeutsam, da die Impfstoffe nach wie vor gegen schwere Verläufe wirken. In Deutschland würden Dutzende Varianten zirkulieren, erklärte Stöhr gegenüber FR.de von IPPEN.MEDIA. Bei Krankheitsverläufen gebe es aber keine signifikanten Unterschiede: die meisten Menschen erkranken leicht, lediglich bei einem kleinen Anteil würden schwere Verläufe auftreten. Das sei bei Sars-CoV-2 sehr ähnlich wie bei anderen endemischen Atemwegserkrankungen.
Corona-Experte Stöhr im Interview: Sind die neuen Pirola-Symptome besorgniserregend?
Ob eine Variante als besorgniserregend gilt, muss an einem Problem festgemacht werden, so Stöhr – etwa ob andere Altersgruppen betroffen sind, Impfstoffe nicht mehr wirken, schwere Krankheitsverläufe oder andere Symptome auftreten oder die Variante ansteckender ist als ihre Vorgänger. Bei Pirola sei das nicht der Fall. Zwar würden einige Facetten des klinischen Bildes bei der Corona-Variante etwas anders aussehen und sich unter anderem mit Durchfall und Hautveränderungen äußern. Diese seien aber vorübergehend und nicht lebensbedrohlich sowie bei der Behandlung der Infektion irrelevant.
„Die respiratorischen Symptome bleiben dominant“ so Stöhr. Das heißt: Die meisten Symptome betreffen vor allem die Atemwege. Vor allem in Großbritannien gibt es Berichte über außergewöhnliche Symptome der Pirola-Variante. Die würden sich Stöhr zufolge auf medizinische Begleituntersuchungen stützen.
Grundsätzlich ähneln sich Eris und Pirola, sagte Virologe Hendrik Streeck der Welt. „Es gibt aber erste Hinweise darauf, dass BA.2.86 womöglich etwas ansteckender ist.“ Charité-Chef Christian Drosten bereitet Pirola derzeit keine Sorgen. Hinweise auf schwere Krankheitsverläufe gebe es nicht: „Ich kann vorerst Entwarnung geben“, sagte er der Zeit.
Impfmüdigkeit nach Corona in Deutschland riesig: „Größten Kollateralschäden der Pandemie“
Dennoch ist Stöhr zufolge die Diskussion und Beobachtung um Varianten wichtig, um gegebenenfalls Impfstoffe anzupassen. Auch müsse die Krankheitslast dringend in diesem Winter durch Studien eingeschätzt werden. Denn: Im kommenden Jahr muss die Ständige Impfkommission (Stiko) entscheiden, ob es noch verhältnismäßig ist, Corona-Impfungen für Menschen ab 60 Jahren sowie Personen mit erhöhtem Infektionsrisiko weiterhin zu empfehlen.
„Für besonders gefährdete Gruppen ohne einen entsprechenden Impfschutz kann Corona nach wie vor eine schwere Erkrankung sein“, erklärte Markus Beier, der Vorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands, gegenüber Welt. Auch Stöhr lässt sich impfen, wie er gegenüber unserer Redaktion mitteilte.
Doch offenbar lassen sich immer weniger Menschen impfen. Die Impfmüdigkeit in Deutschland und den USA war „noch nie so groß wie jetzt“, sagte Stöhr. „Die Impfraten haben bei wichtigen Kinderimpfungen wie Polio und Masern nachgelassen.“ Das sei einer der „größten Kollateralschäden der Pandemie“. Wichtige Impfungen seien negativ konnotiert. Das habe auch langfristig Einfluss auf das Gesundheitssystem.
Corona-Winter in Deutschland: Stöhr über mögliche Infektionswelle
Doch wie wird sich die Corona-Situation in den kommenden Monaten entwickeln? In der 45. Kalenderwoche wurden dem RKI 21.764 Covid-19-Fälle übermittelt, 6114 Fälle wurden im Krankenhaus behandelt. Nach RKI-Angaben habe sich damit der Anstieg fortgesetzt. Zwei Wochen (43. Kalenderwoche) zuvor wurden noch 17.222 Fälle gemeldet und 5325 Personen im Krankenhaus behandelt. Die Dunkelziffer dürfte höher sein.
Vor allem im Winter nehmen die für diese Jahreszeit typischen Atemwegserkrankungen zu. Der Druck auf Krankenhäuser und Intensivstationen sei dadurch teilweise extrem, so Stöhr. „Ich glaube, dass es in diesem Winter heftiger sein wird“, schilderte der Virologe mit Blick auf eine mögliche Sars-Infektionswelle. Ein Immunstatus wie nach vielen Jahren endemischer Durchseuchung bei anderen Atemwegserregern sei nach drei Jahren Pandemie in Deutschland noch nicht erreicht. Besonders ältere Menschen mit Vorerkrankungen seien gefährdet.
Sich mit Blick auf die aktuelle Lage mit einer FFP2-Maske zu schützen, sei dem Virologen zufolge nicht sinnvoll. Auch eine Corona-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Masken in der Pandemie eher wirkungslos waren. „Wer noch nie gehört hat, dass es fünf verschiedene an den Kopf anzupassende FFP2-Markengrößen gibt und auch keine entsprechende Schulung mitgemacht hat, sollte lieber bei der medizinischen Maske bleiben“, steht für Stöhr fest. Sitzt eine Maske nicht richtig, sei die Schutzwirkung nicht gegeben. Der Vorteil einer Maske, sich weniger zu infizieren, sei zwar da, wie erfolgreich das ist, lasse sich aber nur schwer beziffern. Stöhr betonte zudem, dass Kranke bei einer Infektion lieber zu Hause zu bleiben sollten. (kas)
Stöhr fürchtet „heftigen“ Corona-Winter – Virologe spricht auch über ungewöhnliche Pirola-Symptome - fr.de
Read More
No comments:
Post a Comment