Als die Impfkampagne in Deutschland im Frühjahr langsam Fahrt aufnahm, verging kaum ein Tag ohne Berichte über die Vakzine von AstraZeneca.
Allerdings meist in negativem Kontext.
Es gab Zweifel an der Wirksamkeit in bestimmten Altersgruppen, Streitigkeiten zwischen der EU-Kommission und dem britischen Hersteller wegen Lieferengpässen und Schlagzeilen wegen des Risikos seltener Sinusvenenthrombosen.
In der derzeitigen Booster-Kampagne spielt AstraZeneca hierzulande praktisch keine Rolle mehr.
Während westliche Industrienationen vor allem auf die Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna setzen, verweisen Experten auf den hohen Stellenwert von AstraZeneca für Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Der Impfstoff helfe, den großen Bedarf im Rest der Welt zu decken.
»Der Impfstoff von AstraZeneca war ein Lebensretter«, sagte Mohga Kamal-Yanni dem »Wall Street Journal«. Die Expertin für globale Gesundheitspolitik berät die People's Vaccine Alliance. Ein Zusammenschluss von Gesundheits- und Menschenrechtsorganisationen, darunter auch Amnesty International und Oxfam, die sich für den gerechten Zugang zu Medikamenten einsetzen.
Die Omikron-Variante hat gezeigt, wie wichtig die Versorgung von ärmeren Regionen der Welt mit Impfstoff ist, um die Pandemie in den Griff zu bekommen.
1,6 Milliarden Dosen AstraZeneca für ärmere Länder
Laut »WSJ« erreicht der Impfstoff von AstraZeneca mehr Menschen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen, als jeder andere Impfstoff aus westlicher Produktion.
Demnach hat AstraZeneca nach eigenen Angaben bis Mitte Dezember weltweit fast 2,3 Milliarden Dosen ausgeliefert. Bei Biontech/Pfizer waren es fast 2,5 Milliarden Dosen. Vom Impfstoff des chinesischen Unternehmens Sinovac wurden demnach mehr als 2,4 Milliarden Dosen geliefert.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) schätzt laut »WSJ«, dass die Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen bis zum 11. Dezember insgesamt 3,25 Milliarden Impfstoffe erhalten haben.
Etwa die Hälfte davon – rund 1,6 Milliarden Dosen – waren Impfungen von AstraZeneca, wie aus Daten des IWF und von Airfinity hervorgeht, einem Unternehmen für Wissenschafts- und Gesundheitsdaten.
Das ist ein größerer Anteil als die Dosen von Sinopharm, Sinovac und Biontech/Pfizer zusammen, wie die gleichen Daten zeigen.
Der Vorteil von AstraZeneca: Der Impfstoff muss nicht wie die Seren von Biontech/Pfizer und Moderna ultrakalt gelagert werden, sodass er in vielen Ländern leichter zu verteilen ist.
AstraZeneca verfolgte zudem von Beginn an das Ziel, durch Produktionspartnerschaften auf der ganzen Welt einen gleichberechtigten Zugang zu seinem Impfstoff zu gewährleisten.
Kein Fokus auf Gewinn während der Pandemie
Zwar habe AstraZeneca damit begonnen, für einige Käufer gewinnorientierte Preise zu verlangen, schreibt das »WSJ«. An Länder mit niedrigem Einkommen verkaufe das Unternehmen die Dosen aber immer noch zum Selbstkostenpreis.
Von Januar bis September habe AstraZeneca mit dem Impfstoff einen Umsatz von 2,2 Milliarden Dollar erwirtschaftet und im dritten Quartal zum ersten Mal einen Gewinn mit der Vakzine erzielt. Der falle aber im Vergleich zu den Gewinnen bei Biontech/Pfizer und Moderna winzig aus.
Laut »WSJ« wollte AstraZeneca in diesem Jahr ursprünglich drei Milliarden Dosen liefern und sie ohne Gewinn verkaufen, solange die Pandemie anhält.
»Wenn man den Nutzen für die Menschheit zusammenzählt, wird man feststellen, dass der Impfstoff in Bezug auf die verhinderten Krankheiten und Todesfälle ziemlich gut dasteht«, sagte John Bell dem »WSJ«. Er ist leitender Wissenschaftler in Oxford. Ein Team der britischen Universität hat den Impfstoff in Zusammenarbeit mit dem Pharmakonzern AstraZeneca entwickelt.
Ärmere Länder bekommen, was Industriestaaten aussortieren
Anfangs kam die Vakzine in Großbritannien großflächig zum Einsatz. Doch inzwischen hat auch das Vereinigte Königreich AstraZeneca fast gänzlich aus der Booster-Kampagne gestrichen. Die Regierungsberater entschieden sich für Biontech/Pfizer und Moderna als Auffrischungsimpfstoffe, da sie der Meinung waren, dass mRNA-Impfstoffe wahrscheinlich den besten zusätzlichen Schutz bieten.
Nach Informationen des »WSJ« spielte zudem die Sorge vor Gerinnungsstörungen eine Rolle. Denn es werden sehr seltene, aber manchmal tödliche Blutgerinnsel mit dem Impfstoff in Verbindung gebracht.
Das ist auch der Grund, warum viele reichere Länder die Verwendung von AstraZeneca-Dosen massiv eingeschränkt haben.
In den USA ist die Vakzine noch nicht einmal zugelassen. Laut »WSJ« hatte AstraZeneca Schwierigkeiten, alle erforderlichen Daten für die Regulierungsbehörden zusammenzustellen, und hat wiederholt seine eigenen Fristen für die Beantragung der behördlichen Zulassung der Spritze für die Verwendung in den USA verpasst.
Dies alles trug zu einer Welle von AstraZeneca-Impfstoffspenden aus den USA, Kanada, Australien und Westeuropa an ärmere Länder bei.
Zudem hat AstraZeneca seine globalen Herstellungsprobleme allmählich in den Griff bekommen. Der mit Abstand größte Hersteller im Partnerschaftsnetz des Konzerns, das indische Serum-Institut, hat nach eigenen Angaben mehr als 1,3 Milliarden Dosen des Impfstoffs an rund 70 Länder geliefert und kann bis zu 250 Millionen Dosen pro Monat produzieren.
Neue Studien machen Hoffnung
Auch im Hinblick auf den Kampf gegen die Omikron-Variante müssen ärmere Länder wohl auf die Vakzine von AstraZeneca setzen.
Experten warnen bereits, dass wohlhabendere Länder die begehrten Impfdosen von Biontech/Pfizer und Moderna für ihre Booster-Kampagnen aufkaufen und sich dadurch das Problem der niedrigen Impfraten in anderen Nationen verschärfen könnte.
Für die Länder, die dann auf AstraZeneca zurückgreifen müssen, gibt es zumindest eine hoffnungsvolle Nachricht: AstraZeneca und Forscher aus Oxford teilten kürzlich mit, dass Laborstudien ergeben haben, dass eine dritte Impfung mit der Vakzine den Antikörperschutz gegen Omikron auf das Niveau von zwei Dosen erhöht.
Die Studien, die noch nicht von unabhängigen Fachleuten begutachtet wurden, könnten die Verwendung der Impfung als Auffrischungsimpfung unterstützen.
Impfstoffe in ärmeren Ländern: AstraZeneca könnte im Kampf gegen Omikron entscheidend sein - DER SPIEGEL
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