Im westafrikanischen Äquatorialguinea breitet sich das Marburgvirus weiter aus. Droht nun ein großer, gar globaler Ausbruch? Virologe César Muñoz-Fontela hat Antworten.
Das westafrikanische Äquatorialguinea erlebt seit Februar den ersten Marburgvirus-Ausbruch seiner Geschichte. Elf Menschen sind an dem hochgradig krankmachenden Virus, das eng mit Ebola verwandt ist, gestorben. Immer noch ist bei einigen Infizierten nicht klar, wo sie sich angesteckt haben. Fachleute sind besorgt, dass sich der Ausbruch weiter ausbreiten könnte – auch international. Wie es weitergehen könnte und was jetzt geschehen muss, erklärt César Muñoz-Fontela, Professor am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg.
ZEIT ONLINE: Herr Muñoz-Fontela, auch nach drei Monaten scheint Äquatorialguinea den Marburgvirus-Ausbruch nicht unter Kontrolle bringen zu können. Wie groß ist die Gefahr für das Land, die Region und die Welt?
César Muñoz-Fontela: Bisher waren Marburgvirus-Ausbrüche immer relativ klein, verschwanden von selbst wieder oder konnten schnell eingedämmt werden. Ob es diesmal wieder so ist, ist sehr schwer vorherzusagen.
ZEIT ONLINE: Einiges erinnert an den Ebola-Ausbruch 2014/15. Der traf Länder, die wenig bis keine Erfahrung mit dem Virus hatten, schwelte lange vor sich hin und wurde nicht ernst genommen. Am Ende waren drei Länder betroffen und mehr als 10.000 Menschen tot.
Muñoz-Fontela: Ja, das stimmt. Historisch gab es bei Ebola-Ausbrüchen immer höchstens ein paar Hundert Infizierte. Der Erreger hatte kein epidemisches Profil. Dann kam 2014 und hat uns allen gezeigt, dass es auch anders laufen kann.
ZEIT ONLINE: Ist der Vergleich zwischen Ebola und Marburg überhaupt angemessen?
Muñoz-Fontela: Absolut, die beiden Viren sind eng verwandt. Wir haben zwar sehr viel weniger Daten dazu, wie sich Marburg bei Menschen verhält, weil es historisch einfach weniger Fälle gab, aber aus Studien in Tiermodellen wissen wir, dass sich Ebola und Marburg sehr ähnlich verhalten. Das Virus befällt die gleichen Zellen im Körper, der Übertragungsweg und die Symptome sind gleich (siehe Infobox). Ich sehe keine Anzeichen dafür, dass Marburg weniger ansteckend oder krank machend wäre. Dass es bisher keine großen Marburgvirus-Ausbrüche gab, hat wohl andere Gründe.
ZEIT ONLINE: Welche?
Muñoz-Fontela: In den vergangenen zwanzig Jahren hat sich die Mobilität und die Verbindungen zwischen Menschen in Westafrika stark erhöht, die Infrastruktur wurde massiv ausgebaut. Die Ebola-Epidemie 2014 bis 2016 in Guinea, Liberia und Sierra Leone war der erste Ausbruch eines Filovirus, bei dem alle Leute ein Handy hatten. Das dürfte dazu geführt haben, dass zu einer Beerdigung nicht mehr nur die Leute kamen, die in der Nähe wohnten, sondern dass auch die Verwandten angerufen wurden, die 100 Kilometer entfernt wohnten. Dazu kommt, dass die Straßen heute viel besser sind als vor 20 Jahren. Und so kommen am Ende eben nicht zehn Leute, sondern mehrere Dutzend oder 100. Das hat das Risiko eines Ausbruchs enorm erhöht – für viele Erreger. Sie fragen, warum es bisher keinen größeren Marburg-Ausbruch gab? Vielleicht war das schlicht Glück.
Am vergangenen Samstag veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation ein Update über die Lage in Äquatorialguinea. Der Bericht liest sich beunruhigend: Die Überwachungssysteme des Landes seien "suboptimal", die Risikowahrnehmung der Menschen gering. Und: Es gebe womöglich eine Ausbreitung unter dem Radar.
ZEIT ONLINE: Was muss jetzt geschehen, um den Ausbruch einzudämmen?
Muñoz-Fontela: Teilweise – und das ist natürlich ein Problem – scheinen die Behörden nicht zu wissen, wo sich die Infizierten angesteckt haben. Es könnte also viele unbekannte Infektionsketten geben. Es braucht jetzt mehr Bemühungen, um das Virus unter Kontrolle zu bekommen. Man muss die Überwachung ausbauen, eine bessere Nachverfolgung der Fälle und einen besseren Schutz derjenigen gewährleisten, die die Infizierten behandeln. Es gab ja bereits Infektionen bei Gesundheitsarbeitern.
ZEIT ONLINE: Welche Rolle spielt Aufklärung?
Muñoz-Fontela: Eine riesige. Der Erreger wird von Mensch zu Mensch übertragen. Die soziale Komponente ist entscheidend, wenn man einen solchen Ausbruch unter Kontrolle bringen will. Damit sich Marburg überträgt, muss ein Infizierter sehr engen Kontakt mit anderen Menschen haben. Es müssen Körperflüssigkeiten ausgetauscht werden, etwa bei Waschungen von Kranken und Verstorbenen oder beim Sex. Wenn man Menschen dazu bringt, in diesen Phasen keinen engen Kontakt zueinander zu haben, stoppt man einen Ausbruch sehr schnell. Trotzdem liegen drei Jahre voller Ausbrüche in Westafrika hinter uns, vor allem mit Ebola, mit Tausenden Infizierten. Das ist schon traurig. Allerdings ist es mir wichtig zu sagen: Das ist kein afrikanisches Problem. Man steht bei der Aufklärung vor exakt den gleichen Problemen, wie wir sie bei der Corona-Pandemie auch hierzulande hatten.
ZEIT ONLINE: Anders als andere Länder Subsahara-Afrikas, wie etwa die Demokratische Republik Kongo, hat Äquatorialguinea keine Erfahrung mit Viren wie Ebola und Marburg. Wie schwer wiegt das in der gegenwärtigen Situation?
Muñoz-Fontela: Das ist natürlich ein Nachteil. Dazu kommt: Es scheinen, wie in anderen Ländern, wo derartige Viren bei Tieren zirkulieren, also endemisch sind, Kapazitäten für die Bekämpfung zu fehlen.
ZEIT ONLINE: Inzwischen ist auch die Großstadt Bata betroffen, die einen Flughafen hat und viel Mobilität. Das ist kein gutes Zeichen.
Muñoz-Fontela: Nein, natürlich nicht. Es gibt immer die Angst, dass das Virus sich von einem derartigen Verkehrsknotenpunkt global ausbreitet. Meine Sorge hält sich aber in Grenzen. Wir hatten in der Vergangenheit ähnliche Situationen: Ebola in Kinshasa, in Freetown und Monrovia. Ich war selbst einmal in Lagos, als es einen Ebola-Ausbruch gab. Lagos ist eine Stadt mit 18 Millionen Einwohnern, die Flugverbindungen nach London und Paris hat. Und trotzdem gab es – abgesehen von einzelnen Fällen – keine globale Ausbreitung.
ZEIT ONLINE: Warum nicht?
Muñoz-Fontela: Das weiß man nicht genau. Klar ist: Es handelt sich bei Marburg um eine zoonotische Infektion. Die erste Infektion ist ein Übersprung von einem Tier, vielleicht einer Fledermaus oder einem Affen, auf einen Menschen. Das passiert normalerweise in ländlichen Regionen, in denen es viel Regenwald gibt. Das sind oft arme Gegenden, wo Menschen sich einen Flug ohnehin nicht leisten können. Dazu kommt, dass sie oft in großen Familienverbänden leben und traditionelle Praktiken wie Begräbnisse und Besuche gang und gäbe sind. Deshalb kann sich das Virus dort gut verbreiten. In Städten hingegen ist das Setting ein ganz anderes. Auch das könnte eine Rolle spielen.
Bei den Ebola-Ausbrüchen der vergangenen Jahre kamen immer wieder neu entwickelte Impfstoffe zum Einsatz. Entscheidend dafür ist die Arbeit der Weltgesundheitsorganisation, die Pläne für die Erforschung neuer Impfstoffe in Ausbruchssituationen entworfen hat. Mitbeteiligt: César Muñoz-Fontela, der im Gespräch aber betont, dass er heute nicht für die WHO sprechen kann.
ZEIT ONLINE: Was muss sich in Sachen Forschung bei Marburg tun?
Muñoz-Fontela: Viel. Wir müssen besser verstehen, wie es zu diesen Ausbrüchen kommt: Wo verstecken sich diese Viren, wie springen sie über? Wir haben zum Beispiel bei einigen Überlebenden des Westafrika-Ausbruchs von Ebola festgestellt, dass das Virus in bestimmten Orten des Körpers persistieren kann, etwa im Auge oder im Gehirn, wo das Immunsystem anders funktioniert. Möglicherweise ist auch noch nach Jahren in seltensten eine Übertragung beim Sex möglich. Ganz oben auf meiner Wunschliste steht aber etwas anderes.
ZEIT ONLINE: Was?
Muñoz-Fontela: Impfungen und Medikamente. Es ist frustrierend: Wie viele Ausbrüche muss es geben, damit die Welt versteht, dass wir Impfungen gegen diese Viren entwickeln müssen? Die WHO hat bereits Kernstudienprotokolle erarbeitet, die für alle Ausbrüche genutzt werden können, und fördert den internationalen Austausch zwischen Herstellern, Regierungen und anderen Organisationen. Aber bisher scheinen in Äquatorialguinea keine der Impfstoffkandidaten erprobt zu werden. Außerdem behandeln wir die Patienten nach all den Jahren, in denen wir Ausbrüche von Marburg, Ebola und anderen Viren erlebt haben, immer noch allein mit einer unterstützenden Therapie, etwa der Gabe von Wasser, Elektrolyten, Entzündungshemmern und kreislaufstabilisierenden Mitteln. Eine spezifische Therapie gibt es bis heute nicht.
Marburgvirus: "Wir wissen, dass sich Ebola und Marburg sehr ähnlich verhalten" - MSN
Read More
No comments:
Post a Comment