Ungewöhnliches Immunsystem : Wie die Pandemie das Interesse an Fledertieren erweckte
»For Bats ONLY« steht auf der Flasche, aus der Randy Foo gerade eine Pipette mit Orangensaft befüllt. Zusammen mit seinem Kollegen Rommel Yroy sitzt er an einer Sicherheitswerkbank, komplett ausgestattet mit Gesichtsschutz, Gummihandschuhen, Kittelhosen und Schuhüberziehern. Die zwei runden, schwarz-glänzenden Augen, spitzen Öhrchen und die Fellnase eines jungen Langzungen-Flughunds (Eonycteris spelaea) lugen zwischen Rommel Yroys Fingern hervor. Zappelnd und quiekend streckt das Tier seine rosafarbene Zunge den süßen Tropfen aus der Pipette entgegen. Sie sind eine kleine Belohnung für das Erdulden des Transports vom Käfig ins Labor in einem blauen Baumwollbeutel. Nun wird der Flughund zügig gewogen und an seinen ausgestreckten Flügeln und seinem dichten Fell auf Verletzungen untersucht. »Jüngere Tiere sind generell etwas temperamentvoller«, sagt Randy Foo.
Der Flughund in Rommel Yroys Händen ist einer von rund 140 Kleinen Langzungenflughunden aus einer Forschungskolonie in Singapur — der ersten ihrer Art in Asien. Randy Foo arbeitet für die Duke-National University of Singapore (Duke-NUS) Medical School und ist für die Kolonie verantwortlich. Zusammen mit dem Veterinärtechniker Rommel Yroy vom SingHealth Experimental Medicine Centre hat er die Flughunde über Jahre aufgezogen. Die ersten 19 Mitglieder der Kolonie wurden in den Jahren 2015 und 2016 mit Schmetterlingsnetzen unter Autobahnen in Singapur gefangen; ein paar Jahre später kamen die ersten Jungtiere zur Welt.
Ins Leben gerufen hat die Kolonie der Virologe Lin-fa Wang von der Duke-NUS Medical School. Anlass war der Wunsch, die Biologie der Flughunde einschließlich ihres Immunsystems in einer kontrollierten Umgebung untersuchen zu können. Für Lin-fa Wang, der sich seit Jahrzehnten mit Fledertieren und Infektionskrankheiten befasst, ist die Kolonie ein Segen für die Forschung. Sie ermöglicht es, Forschungsfragen zu stellen, die sonst kaum zu beantworten wären. Etwa, welche Zellen das Immunsystem ausmachen und wie diese Zellen auf eine Infektion reagieren. Da die Kolonie Nachwuchs bekommt, können die Forschungsergebnisse seines Teams leichter reproduziert werden. Und die Forscher aus Singapur können Forschungsteams auf der ganzen Welt Gewebeproben zur Verfügung stellen. Etwa ein Dutzend mal konnten sie derartige Anfragen bisher erfüllen. »Fledertiere sind zu einem heißen Thema geworden«, sagt Lin-fa Wang.
Was sind Fledertiere, Fledermäuse und Flughunde?
Fledertiere (Chiroptera) sind eine Ordnung innerhalb der Klasse der Säugetiere, die etwa 1450 Arten umfasst. Sie sind die einzigen zu aktivem Fliegen befähigten Säugetiere. Früher wurden sie in die Unterordnung der Flughunde (Megachiroptera) und der Fledermäuse (Microchiroptera) unterschieden. Flughunde können im Gegensatz zu Fledermäusen sehr gut sehen und ernähren sich hauptsächlich von Pollen, Nektar und Früchten. Fledermäuse orientieren sich hingegen per Ultraschall und fressen vor allem Insekten, manche Arten trinken auch Tierblut. Auch optisch unterscheiden sie sich: Fledermäuse sind in der Regel kleiner und haben kleine Augen, Flughunde jedoch können bis zu 1,5 Kilogramm wiegen und haben eine Hunde-ähnliche Schnauze und große Augen. Bei Fledermäusen ist die Schwanzflughaut durchgehend, bei Flughunden ist sie geteilt. Zudem besitzen Flughunde eine Kralle am »Zeigefinger«, Fledermäuse nicht.
Molekulare Untersuchungen zeigten, dass die Hufeisennasenartigen (Rhinolophoidea), eine Gruppe der Fledermäuse, näher mit den Flughunden verwandt sind als mit den übrigen Fledermäusen. Daher werden die Fledertiere heute unterteilt in die »Yinpterochiroptera« oder »Pteropodiformes«, die Klade der Flughunde und Hufeisennasenartigen, sowie die »Yangochiroptera« oder »Vespertilioniformes«, die Klade der übrigen Fledermäuse.
Seit dem Auftauchen von Sars-CoV-2 geht es in seinem Forschungfeld deutlich lebendiger zu als zuvor. Die Zahl der Konferenzteilnehmerinnen und -teilnehmer bei Vorträgen über Flughunde und Fledermäuse, nimmt merklich zu. An einem Symposium zum Thema im Jahr 2022 etwa nahmen 30 Prozent mehr Interessierte als vor der Pandemie teil. Gleichzeitig pumpen Geldgeber eine Menge Geld in Forschungsprojekte über Fledertiere und Infektionskrankheiten; im Jahr 2021 etwa verkündeten die USA und China die Einrichtung neuer Fördertöpfe für deren Erforschung. Im Fokus des Forschungsinteresses steht meist ihr Immunsystem, insbesondere ihre Fähigkeit, mit Viren zu leben, die für Menschen und andere Säugetiere tödlich sind, darunter Ebola, Nipha oder Sars. Zwar ist das ihr Immunsystem bisher wenig verstanden. Klar ist aber, dass Fledertiere als Quelle mehrerer katastrophaler Virenausbrüche beim Menschen gelten.
Von der Pandemie vorangetrieben, steht die Fledertierforschung heute an einem Wendepunkt. Altgediente Forscher und Neulinge entwickeln heute eine Reihe von Methoden, um die eine zentrale Frage zu ergründen: Wie die Tiere es schaffen, mit gefährlichen Erregern so gut leben können. Nicht wenige hoffen, dass ihre Erkenntnisse einmal neue Therapien ermöglichen werden, und Wege, den Sprung von Viren auf den Menschen zu verhindern. »In den kommenden zwei, drei Jahren wird es große Fortschritte in der Virologie und Immunologie der Fledertiere geben«, sagt etwa Immunologe Tony Schountz von der Colorado State University in Fort Collins, USA.
Mangos und Melonen
Die Flughunde aus Lin-fa Wangs Kolonie sind für diese Bemühungen eine wertvolle Ressource. Und die Forscher aus Singapur behandeln sie entsprechend. Über die Jahre habe sie Nahrung und Umgebung so angepasst, dass die Tiere möglichst gesund bleiben. Auf dem Speiseplan stehen frisch geschnittene Melonen, Papayas und Mangos, Milchpulver und eine Art süßlich riechender Nektar. Auch für die Inneneinrichtung ist gesorgt: Von der Käfigdecke etwa hängt ein Jutesack, der den Tieren, die in Gruppen von etwa 25 leben, Dunkelheit und Privatsphäre bietet. Ende 2023 wird die Kolonie in ein Tierhaus mit größeren Käfigen und zusätzlichem anregenden Mobiliar umziehen.
Lin-fa Wangs Büro zieren Souvenirs der vergangenen Jahre, darunter ein Batman-Schlüsselbund, eine Kaffeetasse mit Fledermausaufdruck, in Harz gegossene Präparate und gerahmte Zeichnungen von Fledertieren. »Die Kolonie hat keinen unserer Wünsche offengelassen«, sagt er. Erforscht haben er und seine Kollegen während dieser Zeit das Erbgut der Tiere sowie die Vielfalt der Viren, denen sie als Wirt dienen. Darüber hinaus konnten sie Atemwegs-Organiode aus Stammzellen züchten. Derzeit konzentriert sich Lin-fa Wangs Gruppe auf drei Kernthemen: die Reaktion der Flughunde auf Infektionen, ihren Alterungsprozess und ihren ausgesprochen aktiven Stoffwechsel während des Fluges.
Trotz der positiven Entwicklungen, ist die Fledertierforschung stets ein hartes Stück Arbeit. Nicht zuletzt, weil die Werkzeuge, die Forschern bisher zur Verfügung stehen, nur innerhalb enger Grenzen brauchbar sind. Darüber hinaus ist es kostspielig, Kolonien aufzuziehen, und zu pflegen; unter anderem, weil die Tiere länger als Labormäuse schwanger sind und auch kleinere Würfe haben. Nur eine Handvoll der weltweit mehr als 1450 Fledertierarten wurde bisher überhaupt in Gefangenschaft gezüchtet. Zu den Mitgliedern dieses exklusiven Clubs zählen neben Lin-fa Wangs Langzungenflughunden, die Jamaika-Fruchtfledermäuse (Artibeus jamaicensis) aus Fort Collins in den USA, die Nilflughunde (Rousettus aegyptiacus) des Friedrich-Loeffler-Instituts auf der Insel Riems in Mecklenburg-Vorpommern, sowie Breitflügelfledermäuse (Eptesicus fuscus) aus dem kanadischen Hamilton. Allerdings beherbergt keine der Kolonien Hufeisennasen (Rhinolophus spp.) — die Hauptwirte für Coronaviren.
»Die Versuche diese Fledermäuse zu züchten, sind vermutlich gescheitert, weil zu wenig über ihre Ruhegewohnheiten bekannt ist«, sagt Infektionsforscher Aarong Irving von der Zhejiang University in Haining, China. Auch das Fangen von freilebenden Fledertieren, kommt mit ganz eigenen logistischen und sicherheitstechnischen Fallstricken. Und Zellen aus ihrem Gewebe zu kultivieren, gilt als schwierig. Darüber hinaus steht eine Reihe von Werkzeugen aus der Forschung an Versuchstieren für Fledertiere nicht zur Verfügung. So mangelt es an monoklonalen Antikörpern, die gebraucht werden, um Immunzellen und Proteine zu markieren. Und lange Zeit war für keine einzige Fledertierart ein hochwertiges Genom dokumentiert. »Immunologen, die mit Mäusen und menschlichem Gewebe arbeiten, sind vom Zugang zu solchen Tools ziemlich verwöhnt«, sagt der Zellbiologe Thomas Zwaka von der Icahn School of Medicine in Mount Sinai, New York City.
Doch die jahrelange Arbeit erfahrener Forscherinnen und Forscher und der Zustrom an Neulingen, bringen nun neue Werkzeuge und Methoden hervor, darunter hochwertige Genome und im Labor gezüchtetes Fledertiergewebe. »Das kommende Jahrzehnt wird spannende neue Erkenntnisse bringen«, sagt Emma Teeling, Biologin am University College in Dublin, Irland. »Dass wir dazu in der Lage sind, haben wir der neuen Generation von Werkzeugen zu verdanken.«
Auch mehr Geld steht heute für die Arbeit mit den Tieren zur Verfügung. Und es wird mehr zum Thema in Fachjournalen veröffentlicht. Laut Wissenschaftsdatenbank »Dimensions« wurden Artikel zur Fledertierimmunologie im Jahr 2021 rund 1500 mal zitiert, mehr als dreimal so oft, wie noch 2018. Ein Startup hat 100 Millionen US-Dollar Wagniskapital eingeworben, in der Hoffnung, neu erworbene Erkenntnisse aus der Forschung von Fledermäusen und Flughunden für die Entwicklung neuer Therapien nutzen zu können, von Krebs über Entzündungskrankheiten bis hin zu Alterungsprozessen. Die jüngsten Forschungsergebnisse schließen Lücken im Verständnis der zugrunde liegenden Immunologie, inklusive der Identifikation von Zelltypen, die womöglich nur in Fledertieren vorkommen. Dabei enträtseln die beteiligten Forscher, wie sie virale Infektionen überstehen.
Viren-Träger
»Das sind schon supercoole Tiere«, sagt Thomas Zwaka. Sie sind die einzigen Säugetiere, die die Fähigkeit zum Flug entwickelt haben und manche können Objekte mithilfe von Schallwellen in der Dunkelheit orten. Für ihre geringe Größe leben sie außergewöhnlich lange und erkranken selten an Krebs. Ins Rampenlicht katapultiert aber wurden die Fledertiere aufgrund eines anderen Merkmals: ihrer Fähigkeit, eine große Anzahl verschiedener Viren in sich zu tragen. Manche Arten, vor allem Hufeisennasen, sind Träger einer außergewöhnlichen Vielfalt an Coronaviren, darunter auch jene, die eng mit Sars-CoV-2 verwandt sind. Andere Fledermäuse sind zugleich Wirte für Tollwut-, Ebola- oder Marburg-Viren. Dies zeigt sich auch im Genom der Tiere, das mit Überresten von Virenerbgut gespickt ist.
»Es gibt eine so eine Art Friedensabkommen zwischen Fledertieren und den Erregern, die sie in sich tragen"Joshua Hayward, Virologe
Studien zeigen, dass Fledertiere eine ausgesprochen robuste erste Verteidigungslinie gegen Viren besitzen. So halten einige Arten selbst in Abwesenheit externer Erreger eine hohe Konzentration an Interferonen aufrecht — diese Signalmoleküle verstärken die Abwehrreaktion gegen Viren. Das könnte den Tieren dabei helfen, die Vermehrung der Viren zügig zu unterdrücken. Darüber hinaus haben sie ein großes Repertoire an Genen mit einem Bauplan für Proteine, die Viren daran hindern, sich zu vermehren. Zusätzlich verfügen ihre Zellen über ein effizientes System, um beschädigte Zellbestandteile loszuwerden, ein Prozess namens Autophagie, der auch beim Menschen als eine Art Müllabfuhr für Viren agiert.
Wenn es ein Erreger dennoch schafft, sich im Körper eines Fledertiers auszubreiten, reagiert sein Immunsystem nicht über, was oft der eigentliche Grund für Schäden durch eine Infektion ist. Die Tiere kennen mehrere Wege, um eine Entzündungsreaktion abzumildern, etwa indem sie die Aktivität großer Multiproteinmoleküle, sogenannter Inflammosome, unterdrücken. »Statt große Mengen Energie auf die vollständige Auslöschung eines Virus zu verbrauchen, tolerieren sie deren Gegenwart in einem gewissen Maße«, sagt Aaron Irving. Der Virologe Joshua Hayward vom Burnet Institute in Melbourne beschreibt es so: »Es gibt eine so eine Art Friedensabkommen zwischen Fledertieren und den Erregern, die sie in sich tragen."
Heute beginnen Fledermausforscherinnen und -forscher über diese frühen Verteidigungslinien der angeborenen Immunantwort hinauszublicken, in Richtung der zwar langsameren aber dafür zielgerichteten adaptiven Immunreaktion, die Informationen über den Erreger abspeichert und diese bei erneutem Kontakt mit ihm zum Angriff nutzt. »Dieser Teil der Immunantwort beschränkt sich auf einige wenige Zelltypen, ist aber trotzdem ziemlich mühsam zu erforschen«, sagt Hannah Frank, Evolutionsbiologin an der Tulane University in New Orleans, Louisiana. Andere Forscher konzentrieren sich auf die Frage, wie diese Immunreaktionen zur Ökologie der Fledertiere passen. Ihr Ziel: besser zu verstehen, wann und wo das Risiko einer Übertragung von Viren auf andere Lebewesen am höchsten ist.
Auf in die Fledermaus-Höhle
Die Frage, wie der Frieden zwischen Viren und Fledertieren aufrechterhalten wird, führte Javier Juste während einer Nacht im Mai 2020, mitten im Lockdown, zu einem verlassenen Staudamm in Cádiz, Spanien. In einem Betontunnel des Damms sammelte er zwei schlafende Fledermäuse von der Decke. In der Forschungsgemeinde hatte die Vermutung die Runde gemacht, dass das verursachende Virus von Fledermäusen stammen könne. Javier Justes Kolleginnen und Kollegen in den USA wollten deshalb irgendwie an Fledermausgewebe kommen, in der Hoffnung, mit gezüchtetem Gewebe die Übertragung auf den Menschen nachzuvollziehen zu können. In Nordamerika kommen Fledermäuse, die Coronaviren tragen können, aber nicht vor. In Europa sind sie dagegen weit verbreitet. Also erklärte sich Javier Juste, der an der Doñana Biological Station in Sevilla arbeitet, bereit, Gewebe von Fledermäusen aus Cádiz nach New York zu schicken – während des strikten Lockdowns und weit verbreiteten Verboten internationaler Flüge.
Nach einer rasanten Fahrt durch die Nacht auf verlassenen Autobahnen erreichten er und einer seiner Kollegen den Flughafen von Madrid. Vor der Lagerhalle des Logistikunternehmens FedEx schläferten sie im Kofferraum ihre Autos die beiden Fledermäuse ein, sezierten Knochen und Organe, füllten die Proben in Röhrchen und verpackten diese in einer Kühlbox, um die Zellen möglichst lange am Leben zu halten. Minuten bevor die Türen des Transportfliegers schlossen, schoben sie ihre Kühlbox mit dem wertvollen Gut über den Tresen der Stückgutannahme. »Das war wahrscheinlich die längste Nacht meines Lebens, sagt Javier Juste, der Monate damit verbracht hatte, die nötigen Genehmigungen zu erhalten.
Gut 26 Stunden später erreichten die Proben Thomas Zwakas Labor. Die Flure waren wie ausgestorben und leider ging es der eingetroffenen Lieferung aus Spanien auch nicht besser; viele Zellen waren bereits abgestorben. Thomas Zwaka, der noch nie mit Fledermausgewebe hantiert hatte, beeilte sich, das Knochenmark aus den Flügelknochen zu extrahieren und Hautstückchen aus den durchsichtigen, gummiartigen Flügeln zu präparieren.
»Wenn man Fledermausstammzellen erzeugt, erweckt man effektiv Virusfossilien zum Leben, die im Genom schlummern«Emma Teeling, Biologin
Diese Proben nutzte sein Team zur Herstellung von Stammzellen, ein Arbeitsschritt, der mit Fledermäusen schwierig durchzuführen ist. Diese induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS), von denen die Forscher im Februar 2023 im Fachmagazin »Cell« berichteten, haben zwischenzeitlich einige erstaunliche Erkenntnisse über die engen evolutionären Beziehungen zwischen Fledermäusen und Viren zutage gefördert. So fanden Thomas Zwaka und Emma Teeling in der RNA, die diese Zellen herstellen, eine ganze Sammlung von Sequenzen viraler Herkunft. Viele dieser Genabschnitte stammten ursprünglich aus dem Genom von Coronaviren. Außerdem war ihre Expression in pluripotenten Stammzellen ausgeprägter und vielfältiger als in Hautzellen von Fledertieren oder pluripotenten Stammzellen von Mäusen und Menschen. Mehr noch: Die pluripotenten Fledermauszellen nutzten die viralen Fragmente offenbar, um selbst virusähnliche Partikel herzustellen.
»Die Resultate waren außergewöhnlich«, sagt Emma Teeling. »Wenn man Fledermausstammzellen erzeugt, erweckt man effektiv Virusfossilien zum Leben, die im Genom schlummern.« Die Zellen scheinen sich also systematisch Virusinformation einzuverleiben und zu exprimieren. Das mache sie zu einer für Viren günstigen Umgebung, sagt Thomas Zwaka. Was genau dieser Mechanismus für die Koexistenz von Fledertieren und Viren bedeutet, ist aber noch unklar. Eine Annahme ist aber, dass die genetische Aneignung die Tiere vor den Auswirkungen von Virusinfektionen schützt. Als nächstes wollen die Forscher um Zwaka ihre Stammzellen nutzen, um Lungen- und Darmgewebe sowie Blut herzustellen, deren Zellen sie dann mit Viren infizieren können. Thomas Zwaka hofft, so die Immunologie der Fledertiere noch besser zu verstehen, letztlich mit dem Ziel, daraus Gesundheitsstrategien für den Menschen abzuleiten.
1000 Genome
Zellen und Gewebe sind eine Sache. Eine der wichtigsten Ressourcen für Zellbiologen ist allerdings das Genom selbst. Bis 2020 waren etwa 20 Fledertiergenome unterschiedlicher Qualität dokumentiert. In jenem Jahr veröffentlichten Emma Teeling und ihre Kolleginnen und Kollegen dann die ersten qualitativ hochwertigen Genome von gleich sechs verschiedenen Fledertierarten, jede davon aus einer eigenen Gattung. Bei jedem der sechs Genome war es den Autorinnen und Autoren gelungen, die proteinkodierenden Regionen deutlich zu markieren.
Das Projekt war Teil eines globalen Genom-Konsortiums namens Bat1K, das Emma Teeling mitgegründet hatte, mit dem Ziel hochqualitative Genome für alle Fledertierarten zu dokumentieren. Dank des großen Interesses und der Finanzierung seit der Pandemie, unter anderem durch Biotech-Unternehmen, konnten bisher etwa 80 Genome sequenziert werden. Die so entstandene Verfügbarkeit hochwertiger Genome hat das Feld der Fledertierimmunologie bereits merklich verändert. So ist es heute leichter, groß angelegte Studien über RNA-Moleküle und Proteine durchzuführen und Immunzellen zu klassifizieren, was auch den Mangel an monoklonalen Antikörpern in gewissem Maße entschärft. Die Genome werden die »Grundlage für viele, viele weitere Studien sein«, prophezeit Marcel Müller, Virologe an der Charité in Berlin.
Aaron Irving arbeitet heute mit dem Bat1K-Konsortium zusammen, um seine Sammlung Chinesischer Hufeisennasen (Rhinolophus sinicus), einem Wirt für die engsten Verwandten von Sars-CoV-2, zu erweitern. Zehn neue Genome hat sein Team bisher sequenziert, darunter vier aus der Familie der Hufeisennasen (Rhinolophidae). In einem im Februar 2023 veröffentlichten Preprint stellten Irving, Teeling und Kollegen fest, dass Fledermausgenome deutlich mehr Gene tragen, die an Immunität und Stoffwechsel beteiligt sind und positiver Selektion unterliegen, als die anderer Säugetiere.
Eines dieser Gene, ISG15, nahmen sie genauer unter die Lupe. ISG15 exprimiert ein antivirales Protein, das eine wichtige Rolle bei überschießenden Entzündungsreaktionen spielt, die bei Sars-CoV-2-Infektionen beim Menschen beobachtet werden. Diesem Protein fehlt sowohl bei den Hufeisen- als auch bei den Rundblattnasen eine Aminosäure, die bei den meisten anderen Säugetieren vorkommt, wie Irvings Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Zellexperimenten feststellen konnten. Diese Änderung scheint zu verhindern, dass das Protein die Zellen verlässt und eine Entzündungsreaktion auslöst. Proteine wie ISG15 könnten also wichtige Anhaltspunkte dafür liefern, wie Fledertiere mit tödlichen Viren leben können. »Und sie könnten eine Grundlage für Therapien bei Menschen bieten«, sagt Aaron Irving.
Zu den größten Trends unter den Techniken, die qualitativ hochwertige Genome ermöglichen, gehört die Einzelzell-RNA-Sequenzierung. Dabei wird die RNA einer Zelle analysiert, um die Zellbausteine und ihre Funktionsweise zu untersuchen. Im November 2022 veröffentlichte Lin-fa Wangs Team die Ergebnisse seines ersten Einzelzell-Sequenzierungsversuchs. Die Autorinnen und Autoren der Studie infizierten Kleine Langzungenflughunde mit dem Pteropine-Orthoreovirus, einem Virus, das in dieser Art häufig vorkommt, sie aber nicht krank macht. In den Lungenzellen der Flughunde konnte Lin-fa Wangs Team danach die Fingerabdrücke vieler bekannter Immunzellen identifizieren, einschließlich T-Zellen, aber auch einiger bis dato unbekannter Zellen.
Derzeit sind die Ergebnisse der meisten Einzelzellstudien bei Fledertiere schlicht Kataloge der Immunzellaktivität. In einer unveröffentlichten Studie infizierten Tony Schountz und seine Kolleginnen und Kollegen jamaikanische Flughunde mit dem Influenza-A-Virus H18N11 und untersuchten, welche Zellen es angreift. Sie fanden heraus, dass das Virus auf Makrophagen abzielt, Immunzellen, die im Körper patrouillieren und Krankheitserreger verschlingen, was bei Influenza-A-Viren bisher noch nicht beobachtet wurde. Diese Einzelzellstudie war ein großartiger Ausgangspunkt für detailliertere Experimente in Zellkulturen. »Zumindest liefert sie einige Ideen, wo man mit der Suche beginnen sollte«, sagt Tony Schountz.
Andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nutzen die RNA-Sequenzierung, um Zellen von Fledertieren und Menschen zu vergleichen. Nolwenn Jouvenet, Virologin am Institut Pasteur in Paris ist ein Neuling auf diesem Gebiet. Sie kombiniert die RNA-Sequenzierung mit der Genschere CRISPR, um nach Unterschieden in der angeborenen Immunantwort von Fledertierzellen und menschlichen Zellen zu fahnden. So hofft sie, Gene zu identifizieren, die für die Unterdrückung der viralen Vermehrung verantwortlich sind.
Für andere Forschungsfragen braucht es das ganze Tier. Tony Schountz etwa wollte an seiner Kolonie testen, ob Flughunde, die kein natürlicher Wirt für Sars-CoV-2 sind, für das Virus empfänglich gemacht werden können. Sein Team nutzte einen viralen Vektor, um den ACE2-Rezeptor, mit dem Sars-CoV-2 in die Zellen eindringt, in den Lungen der Flughunde zu exprimieren. Nachdem er die Tiere mit Sars-CoV-2 infizierte, konnte er bei den Flughunde T-Helferzellen identifizieren, die spezifisch für das Virus waren. Diese so stimulierten Hauptakteure der adaptiven, gezielten Immunantwort stellten dann kleine Proteine her, die Entzündungen regulieren. Das könnte die in Fledertieren so gemäßigte Entzündungsreaktion erklären. Die Ergebnisse wurden im Februar 2023 als Preprint veröffentlicht. Tony Schountz plant derzeit den Bau einer neuen Anlage, der bis 2024 abgeschlossen sein soll. Dort sollen dann auch genügend Platz für große Flughunde vorhanden sein. Auch andere Teams planen Kolonien zu gründen, darunter eine für Jamaika-Fruchtfledermäuse an der Montana State University. In Singapur sind die Flughunde derweil schon an das Leben in einer Zuchtkolonie gewöhnt. Sie sitzen dicht an dicht in einer dunklen Ecke ihres Käfigs und quieken gelegentlich. »Sie sind es gewohnt, dass Menschen kommen und um den Käfig herumgehen«, sagt Randy Foo. An diesem Morgen hatte Rommel Yroy neue Plastikplanen ausgelegt, um ihren Kot aufzufangen, und frische Wasserschüsseln aufgehängt. Bald wird es Zeit für die Fütterung sein. »Bis jetzt sind sie ganz zufrieden«, sagt Randy Foo.
Ungewöhnliches Immunsystem : Wie die Pandemie das Interesse an Fledertieren erweckte - Spektrum.de
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