Freitag ist Weltaidstag. Wie die Lage in Remscheid ist, warum Aids, Syphilis und Co. auch in Remscheid für alle Jugendlichen und Eltern Thema sein sollten und wo schnell und anonym Tests möglich sind, erzählt Jana Kawina im RGA-Interview.
Remscheid. Das Robert-Koch-Institut (RKI) verzeichnet aktuell einen Anstieg der gemeldeten Syphilis-Fälle von 5330 im Jahr 2013 auf 8309 im Jahr 2022 und bei Hepatitis B von 715 auf 16.635 Fälle. Die Zahl der HIV-Neuinfektionen blieb mit rund 1800 Fällen jährlich stabil.
Wie die Lage in Remscheid ist, wo Betroffene Hilfe bekommen und wie man sich am besten vor sexuell übertragbaren Krankheiten schützt, erklärt Jana Kawina (39) von der Aidshilfe Wuppertal, Zentrum für Gesundheit, Sexualität und Selbstbestimmung im Bergischen, die auch in Lennep einen Standort hat.
Frau Kawina, das RKI meldet: Sexuell übertragbare Krankheiten sind auf dem Vormarsch. Sind Dating-Apps daran schuld?
Jana Kawina: Es kann sein, dass Menschen durch Dating-Apps schneller Sex erleben. Mir liegen keine Zahlen vor, die belegen, dass der Anstieg der sexuell übertragbaren Infektionen hierauf zurückzuführen ist.
Woran mag der krasse Anstieg vor allem bei Syphilis und Hepatitis B liegen?
Kawina: Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Ausbau von Testangeboten und dem Anstieg der Zahlen. Deutschlandweit sind Testangebote für HIV und sexuell übertragbare Infektionen in den vergangenen Jahren ausgebaut worden und somit einfacher zugänglich, so dass mehr Infektionen auffallen.
Am Freitag ist Weltaidstag. Wie viele Betroffene gibt es in Remscheid?
Kawina: Es liegen uns keine Remscheider Zahlen aus dem Gesundheitsministerium vor. Aktuell leben deutschlandweit 90.800 Menschen mit HIV.
Ist Aids heute heilbar?
Kawina: Nein, aktuell ist Aids noch nicht heilbar. Es gibt zwar weltweit unter zehn Fälle, bei denen man von einer Heilung spricht – aber das sind Menschen, die an Krebs erkrankt waren und eine Knochenmarkstransplantation erhalten haben, wodurch der Krebs behandelt und HIV quasi „mitgeheilt“ wurde. Diese Therapieart ist aber nicht übertragbar auf Menschen, die nicht an Krebs erkrankt sind. HIV gilt aber aktuell als chronische Erkrankung, die gut zu behandeln ist.
Wie?
Kawina: Menschen, die HIV haben, nehmen täglich Medikamente ein, die das Virus bekämpfen. Die Virusmenge ist dann unter der Nachweisgrenze. Das führt dazu, dass die Menschen nicht mehr an Aids erkranken und HIV nicht mehr übertragen. Sie haben zudem eine annähernd normale Lebenserwartung.
Wer erkrankt heute überhaupt an HIV?
Kawina: Wir haben in Deutschland aktuell die Verteilung, dass Männer, die Sex mit Männern haben, am häufigsten betroffen sind. Der zweithäufigste Übertragungsweg ist heterosexueller Sex. In Deutschland leben allerdings viermal so viele Männer mit HIV wie Frauen. Weltweit ist die Verteilung jedoch annähernd bei 50/50.
Woran liegt das?
Kawina: Weltweit spielen heterosexueller Sex, Drogengebrauch und Mutter-Kind-Übertragung eine wesentlich größere Rolle als in Deutschland.
Welche sexuell übertragbaren Krankheiten sind derzeit auf dem Vormarsch – und wie schütze ich mich?
Kawina: Neben einem Anstieg von Syphilis, Tripper und Hepatitis B werden sehr viele Chlamydieninfektionen nachgewiesen. Bei HIV schützt das Kondom zu 99 Prozent, bei allen anderen Geschlechtskrankheiten gilt: Ein Kondom senkt zwar das Risiko, aber manche Krankheiten übertragen sich auch über Hautschuppen, manche Bakterien siedeln sich auch im Mundraum an.
Das Tückische: Viele wissen gar nicht, dass sie erkrankt sind. Denn viele sexuell übertragbare Krankheiten laufen erst mal symptomlos ab. Und, ganz wichtig: Es gibt im Alltag keine Möglichkeit, sich mit HIV anzustecken – weder beim Küssen noch beim Händeschütteln. Der Hauptübertragungsweg ist ungeschützter Sex. Daher brauchen alle anderen auch keine Berührungsängste haben. Es geht eher ein Risiko von den Menschen aus, die ihren Status nicht kennen. Daher ist Testen so wichtig.
Müsste man, um diesen Trend zu durchbrechen und besser aufzuklären, nicht schon bereits im Schulunterricht ansetzen?
Kawina: Meiner Meinung nach ist es total wichtig, dass schon junge Leute wissen, dass es HIV gibt und wo es Hilfe gibt. Denn das Thema ist nicht mehr so im Gespräch wie noch vor 20 Jahren. Eine Aufgabe der Aidshilfe ist es, Präventionsarbeit in Schulen zu machen.
Wie aufgeklärt sind die Jugendlichen heute?
Kawina: Das variiert stark. Ich bin immer wieder überrascht, wie viele etwas wissen, aber genauso, wie wenig manche wissen. Zuletzt bin ich nach einer Präventionsveranstaltung in einer Schule von einem Mädchen empört angesprochen worden – sie habe ja noch nie gehört, dass es so etwas wie sexuell übertragbare Infektionen gibt. Und auch beim Thema geschlechtliche Vielfalt erlebe ich erschreckend viel Ablehnung.
Woran liegt das?
Kawina: Das ist oft keine Wissenslücke, sondern eine grundsätzliche Haltung. Ich glaube, das hat häufig etwas mit dem Wertesystem in der Familie zu tun. Für viele Menschen ist geschlechtliche Vielfalt zudem nicht mit ihrem Glauben vereinbar. Und das macht die Akzeptanz sehr schwierig.
Ist Aids heute immer noch ein Tabuthema?
Kawina: Ich habe nicht das Gefühl, dass es aus der Tabuecke rauskommt. Es gab zuletzt eine große Studie dazu. Demnach halten 70 Prozent der Befragten ihren HIV-Status geheim. Das sind auch unsere Erfahrungen mit den Menschen, die wir beraten. Es ist immer eine sehr persönliche Entscheidung, ob sich jemand outet oder nicht, was hoch belastend sein kann. Wenn, dann eher im Freundes- oder Familienkreis, selten bei der Arbeit. Ein großer Arbeitsauftrag von uns als Aidshilfe ist es, Diskriminierung für die Menschen, die damit leben, abzubauen.
Hintergrund: Die Aidshilfe
Beratung und Test: Neben der Beratung zu Aids, HIV, sexuell übertragbare Krankheiten und geschlechtlicher Vielfalt kann am Mollplatz in Lennep bei Verdacht ein Aids-Test durchgeführt werden. Er dauert 45 Minuten, ist gratis und anonym.
Kontakt: Aidshilfe Wuppertal e. V. Zentrum für Gesundheit, Sexualität und Selbstbestimmung im Bergischen, Mollplatz 3, Tel. 0176-34551933; E-Mail: info@aidshilfe-wuppertal.de
Weltaidstag: Die Aidshilfe verteilt Bierdeckel in Bars und Restaurants, die darauf aufmerksam machen, dass Aids im Alltag nicht übertragbar ist, und wo es Hilfe zum Thema gibt. Zudem hat man eine Wanderausstellung entworfen, die auch 2024 noch an vielen Stellen in Remscheid gezeigt wird. Am 2. Dezember ist die Aidshilfe zudem mit einem Stand auf dem Lüttringhauser Weihnachtsmarkt vertreten.
Aidshilfe in Remscheid: Betroffene, Hilfe, Aufklärung für Eltern - rga-online.de
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